cover.jpg

FRAUEN IM SINN

 

img1.jpg

Verlag Krug & Schadenberg

 

 

Literatur deutschsprachiger und internationaler

Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,

historische Romane, Erzählungen)

 

Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen

rund um das lesbische Leben

 

Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.

Betty Kurtzweil

 

Engelchen

 

Roman

 

 

 

 

K&S digital

Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist unwahrscheinlich.

1. KAPITEL

 

 

Meta Sellenthin war »groß und stattlich«, wie ihre Mutter entschuldigend zu sagen pflegte. Das heißt, sie war einen Meter achtzig groß, wog fünfundsiebzig Kilo, hatte dicke blonde Haare und bewegte sich mit Entschiedenheit.

Lilli, mit der sie nun auch schon wieder drei Jahre zusammenlebte, sagte, sie sei wie die Frau in Djuna Barnes’ Roman Nachtgewächs, die dort beschrieben wurde als »eine Wienerin von großer Kraft und militärischer Schönheit«. Lilli bestand aber trotzdem darauf, sie ›Engelchen‹ zu nennen.

So was bringt die Ehe halt mit sich, dachte Meta und warf die Kühlschranktür zu, dass die Eier im Türfach klapperten. Sie wollte eben den Tee einschenken, als sie Lilli husten hörte.

»Scheiß Asthma«, fluchte sie und rannte ins Wohnzimmer.

Lilli lag auf dem Sofa, hustete würgend und krümmte sich. Aber sie lachte dabei. Meta klopfte ihr mit der Faust geübt auf Rücken und Brustkorb, und als Lilli wieder richtig Luft holen konnte, deutete sie auf eine Stelle in dem Buch, in dem sie gelesen hatte: »Goethe ging mit einem Freund im Park an der Ilm spazieren. Weit vor ihnen wandelten zwei ihnen gut bekannte Herren, die sich plötzlich einander zuwandten und sich herzhaft küssten. Goethes Begleiter fragte ihn schockiert: ›Haben Sie das gesehen?‹ Goethe sagte: ›Ich habe es gesehen, aber ich glaube es nicht.‹«

Meta grinste, wurde jedoch gleich wieder ernst. »Also komm schon, zieh dich an. Du musst bald los. Es ist halb neun. Sägmüller wartet!«

Lilli seufzte und streichelte Metas Schultern. Als ihre Hände zu wandern anfingen, schob Meta sie weg. Sie wurde immer noch rot bei so etwas. »Am hellichten Tage!«, knurrte sie.

Lilli lächelte sie nur an. Das machte Meta völlig fertig. Sie konnte ihr nun mal nicht widerstehen, und Lilli, dieses Biest, wusste das ganz genau.

»Friedrich sah in letzter Zeit ziemlich blass aus. Vielleicht ist er heute unpässlich«, sprach Lilli versonnen und hoffnungsfroh.

»Keine Chance. Der Mann ist zäh wie ein alter Lederstrumpf. Beweg dich. Wir brauchen das Geld.«

Lilli schielte gen Himmel, »Wir, sagt sie! Entzückend! Und das bei deinen Renten und Latifundien! Wir!! Ich bin arm, und ich darf nicht einmal in Abhängigkeit von dir geraten! Das ist mein Schicksal, und ich lasse nicht zu, dass du dir etwas davon aneignest!«

Sie hatte recht. Meta war reich. Und stur. Das war aber auch nötig. Lilli verdiente zwar ziemlich viel Geld mit ihrer Arbeit, und das war wichtig für sie, für sie beide, denn Lilli hatte es nicht so mit Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Sie verträumte ihre Termine, blieb zu Hause und schrieb oder las. Doch bei Friedrich Sägmüller ging das nicht. Er war Lektor eines angesehenen Verlags und dazu der größte Pedant auf Gottes Erdboden.

Lilli sollte ein paar Außenlektorate für ihn übernehmen, eine lukrative Angelegenheit, und weil sie lukrativ war, hatte Lilli, nach Sägmüllers Ansicht, auf die Minute pünktlich in seinem Büro zu erscheinen, intelligent, aufnahmefähig für seine Weisungen, adrett, und vor allem nicht mit schiefgelaufenen Schuhen! Dagegen hegte er einen krankhaften Widerwillen. Auf der Straße schaute er allen Leuten auf die Hacken und verzog ständig das Gesicht vor Ekel. Wenn Lilli an Sägmüller dachte, tat sie das auch.

Friedrich Sägmüller war ungefähr fünfzig, sehr groß und schlank, und er rasierte sich den Kopf, seit seine Haare von der Stirn gewichen waren. Sein Gesicht war mager. Er war ein Hektiker, und seine Wangenmuskulatur mahlte ständig, auch wenn er gerade keinen Kaugummi kaute, aber er spielte den müden, abgeklärten Intellektuellen. Seine Anzüge waren vom Feinsten, seine Hände vollendet manikürt; er sammelte antike Tintenfässer und Schreibgeräte.

Wenn Meta und Lilli ihm gemeinsam begegneten, wurde er immer süffisant. »Ah, das schöne Damenpaar!«, sagte er dann mit einem unangenehmen Lächeln.

Meta fand ihn schlicht widerlich, aber Lilli hasste Sägmüller. Es war ein abgrundtiefer Hass. Völlig irrational, fand Meta. Dabei kannten sich die beiden schon ewig, schon aus Lillis Hamburger Zeit, und sie duzten sich sogar.

Meta wusste, dass es Lilli große Überwindung kostete, Aufträge von Sägmüller anzunehmen. Darüber sprachen sie aber besser nicht, denn das rührte an Lillis Stolz und damit an eines der Probleme ihrer Beziehung – an die materielle Schieflage, in der sich Lilli befand: Es war Metas Haus, in dem sie lebten.

Lilli setzte sich in Trab, wusch sich, zog sich an, trank zwischendurch hastig vom Tee, schminkte sich und inspizierte ihre Schuhe, die ziemlich hohe Absätze hatten und, da frisch vom Schuster, in tadellosem Zustand waren. »Ach, verdammt, ich muss ja vorher noch in die Druckerei, die Satzfahnen holen«, murrte Lilli. »Ich geh zu Fuß; da krieg ich nie einen Parkplatz.«

Bevor sie ging, küsste sie Metas Halsgrube und murmelte: »Engelchen, du riechst wie frisches Brot.« Meta wandte sich ab und sagte: »Schon gut. Und jetzt geh und verdien die Butter darauf.«

Als die Haustür zuklappte, stellte sich Meta vor den Flurspiegel, zog den Halsausschnitt ihres Pullovers nach vorn und roch hinein. »Sie hat recht!«

Meta lächelte stolz und ein bisschen verlegen. Lilli war so schön, dass Meta bis heute nicht verstand, warum Lilli sich ausgerechnet in sie verliebt hatte. Sie hätte jede haben können, diese Lilli mit den blauen Augen und den dunklen Haaren, mit dem schönen Mund und den langen Armen und Beinen, hinter der sie alle her waren, auch die Männer. Lilli war fast so groß wie Meta, aber schmal. Und anmutig. Und belesen.

Meta las auch viel, aber Lilli las immer. Sie äußerte manchmal, das Lesen sei ihre »einzige Gegenwehr gegen dieses fade und formlose Leben.«

Wenn Meta sie bei dieser Sentenz anblickte wie ein waidwundes Reh, lachte Lilli entzückt auf und sagte: »Engelchen, du fällst immer noch drauf rein. Da bist du wie ein Kind!«

Meta war wirklich wie ein Kind. Und dabei versuchte sie doch alles, das zu verbergen. Wie konnte sie ein Kind sein, bei ihrem Alter, bei ihrer Haltung, ihrer Länge, ihrer Selbstbeherrschung, ihrer ruhigen Ausstrahlung? Das ging doch nicht.

Doch Lilli war klug wie eine Schlange. Sie sah das alles, und sah zugleich das kleine Mädchen, das nicht weinen durfte, das nicht gelobt wurde, obwohl sie es so nötig gehabt und wohl verdient hätte.

»Du bist sehr wohlgeraten, meine Süße«, sagte Lilli manchmal und betrachtete Meta nachdenklich, »aber du hast es noch nicht gemerkt.« Metas preußische Erziehung bewirkte, dass sie sich bei solchen intimen Aussprüchen vor Verlegenheit wand, aber Metas Herz tat gleichzeitig einen bayrischen Juchzer – was sie natürlich niemals zugegeben hätte.

 

Meta überlegte genüsslich, was sie mit dem freien Tag anfangen könnte, den sie sich selbst zugestanden hatte. Sie arbeitete zu Hause, war nirgendwo angestellt, musste kein Geld verdienen. Das war nicht immer leicht, und die Vorarbeiten zu ihrem neuen Buch über Annette von Droste-Hülshoff stockten gerade. Ihr fiel zu dem Thema zu viel ein; sehr hinderlich.

Am liebsten wäre sie jetzt einfach allem entwischt und hätte einen kleinen Trivialroman geschrieben. Aber das konnte sie nun mal nicht. Es war nicht ihr Genre. Biographien gelangen ihr besser.

Das kam daher, dass Meta nichts von den Menschen wusste. Sie verstand sie nicht. Deshalb studierte sie das Leben der Toten. Die hielten lange genug still und hatten außerdem Briefe hinterlassen. Wenn sie Glück hatte, sogar Tagebücher.

Meta entschied sich für ein bisschen Hausarbeit. Das machte sie sehr gern. Allerdings nur, wenn sie dabei ein Hörbuch hören konnte. Und welches? Gert Westphal sowieso. Aber nicht Die Wahlverwandtschaften. Die konnte er nicht. Klang alles nach Rokoko; alles einen Halbton zu hoch. Oder war der Roman so, wie er klang? Fontanes Stechlin? Ja. Der war auch ausgiebiger; zehn Cassetten. Passierte ja nicht viel. Lauter Dialoge. Aber wie gut die Menschen sprachen. Ob sie das wirklich so gekonnt hatten, vor hundert Jahren?

Sie legte die Cassette ein, auf der Melusine zum ersten Mal erschien. Die musste Lilli ähnlich gewesen sein, dachte sie, während sie das Bettzeug abzog. Der Duft stieg auf. Es war ein Duft. Kunststück, wenn die Bettwäsche jede Woche gewechselt wurde. Meta sah in einem Blitzlicht Augenblicke der letzten Nacht. Lillis langes Bein über ihrem, das schmale Knie. Der leichte Schweiß in der Kniekehle. Ihr atmendes Schweigen danach. Was heißt schon danach?, dachte Meta. Es war noch immer dabei.

Sie ging ins Badezimmer und wollte das Bettzeug in den Wäschekorb werfen, doch Mopsa Sternheim vereitelte diesen Plan, weil sie auf dem Korb lag. Mopsa war ihre Katze. Ursprünglich Lillis Katze, aber als sie zusammengezogen waren und Lilli sie mitbrachte, hatte Mopsa gewählt. Meta war ihr erwählter Mensch. Die zwei verstanden sich von Natur aus. Sie waren beide schamhaft und tiefer Leidenschaft fähig.

Lilli schmollte eine Weile, als sie diese Seelenwanderung sich ereignen sah. Doch schließlich gab sie zu, es sei ihr mit der Katze immer ergangen wie dem Weimarschen Geheimrat, der gesagt habe, er scheue die Liebkosung der Tiere, sie tue ihm weh.

Nicht einmal Metas Einwurf: »Aha, deformierte Sinnlichkeit!«, hatte sie irritiert.

»Ich sehe, was ich sehe«, sagte sie. »Sie hat dich lieber. Und das kann ich gut verstehen.«

Die schlafende Mopsa öffnete ein Auge. Die Nickhaut lag weit vor. Sie gab einen kleinen krächzenden Laut von sich. Meta beugte sich über sie, küsste sie auf den Kopf und spuckte drei Katzenhaare aus. »Gnädigste, du fusselst«, sagte sie, und Mopsa bestätigte dies weinerlich.

Der Name Mopsa passte ihr nicht mehr. Das Fell war zu weit geworden. Die Katze war alt, mindestens vierzehn Jahre. Lilli hatte sie irgendwann irgendwo aufgelesen, im Winter. Das Tier war damals sehr scheu gewesen, und um mit seiner Angst fertig zu werden, hatte es gefressen wie ein Scheunendrescher. Davon wurde es fett und ruhiger. Auch trauriger.

Meta hatte Mopsa vor drei Jahren zu Schonkost verdonnert, das heißt, eine Mahlzeit durch Bürsten und Kämmen, viel Spielquatsch und klassische Musik ersetzt. Bach war wunderbar für Katzen. Auch Mozart. Meta hatte mal einen Siamkater gehabt, der sich, schon todkrank, die Treppe hinaufschleppte, um sie sein Lieblingsstück auf dem Klavier spielen zu hören. Meta kannte sich aus.

Mopsa war schwarz, hatte ein weißes Lätzchen, vier weiße Pfoten und einen schwarzen Bauch, über den gekreuzte weiße Hosenträger liefen. Ihr Kopf war so groß und ihre weißen Schnurrhaare waren so lang, dass die meisten Leute sie für einen Kater hielten. Aber das war sie nicht im Entferntesten.

Meta legte das Bettzeug vorläufig über den Badewannenrand und betrachtete Mopsa. Das Fell wirkte angestaubt, die Flanken fielen ein. Das Tier war wieder in Schlaf gesunken und röchelte leise. »Stirb nicht«, murmelte Meta. »Noch nicht«, und ging zurück ins Bücherzimmer.

2. KAPITEL

 

 

Das Bücherregal war ihr ein stetes Ärgernis. Billy von Ikea, recht geschmackvoll, aber nicht lackiert, sondern mit Plastik beschichtet. Zog den Dreck an wie ein Magnet; Staub, Zigarettenrauch. Meta beschloss, die Sache gründlich anzugehen, alle Bücher auszuräumen und mit Salmiak- und Seifenwasser zu putzen.

Wo beginnen? Ungefähr vierzig Regalmeter lagen vor ihr, und nichts durfte durcheinandergeraten. Lilli war in manchen Dingen nachlässig. Sie war imstande, einen blauen und einen schwarzen Strumpf anzuziehen und wenn sie es bemerkte, lachend zu sagen: »Daheim hab ich noch so ein Paar!« Aber die Bücher hatte sie nach Sachgebieten und innerhalb derselben wiederum alphabetisch geordnet. Ein Griff musste genügen, damit sie fand, was sie gerade suchte.

Meta nahm die Belletristik in Angriff, legte den ersten Regalmeter in regelrechter Reihenfolge auf den Fußboden und bestieg die Trittleiter mit Putzeimer, Lappen, Handtuch und Entschlossenheit. Im leeren Regalfach fand sie einen Zettel. War wohl aus einem Buch herausgefallen. Meta las: »›Du hast es nie geahnet, nie gewusst, wie groß mein Lieben ist zu dir gewesen‹ … L.« Das war aus dem Gedicht der Droste-Hülshoff an Katharina Schücking! Stand unter ›D‹.

Aber nein; das Regalbrett reichte ja nur von nur von ›Ackland, Valentine‹ bis ›Arnim, Bettine von‹. Und der Zettel war unterschrieben, mit ›L.‹ für Lilli. Es war ein Briefchen. An wen war dieser Zettel gerichtet gewesen, seinerzeit? Nicht abgeschickt. Aus welchem Buch war er herausgefallen?

Meta fühlte sich besetzt von der protestantischen Scheu vor Indiskretion, in der sie aufgewachsen war, und zugleich von jener katholischen Neugier, der sich hinzugeben sie in ihrer Internatsjugend am Bodensee gelernt hatte.

Sie hielt den Zettel in der linken Hand und wischte mechanisch mit der rechten über das Regalbrett. Dabei sang sie tonlos vor sich hin: »Die Frau, die vor mir war – ja, die war wunderbar …« Sie schnipste den Zettel von sich, und er segelte auf den Fußboden.

Bestimmt war sie wunderbar gewesen, diese Frau. Lilli sprach fast nie von ihr. Lilli war überhaupt sehr verschwiegen in manchen Dingen.

Meta wusste, dass da vor ihr »jemand« gewesen war, Sibyl Vaughan, eine »wesentliche Person« in Lillis Leben, eine »Geschichte«, über die Lilli »lieber nicht« sprechen wollte. Eines jener Mysterien, an die Meta nicht zu rühren wagte.

Ihre Lebens- und Liebeserfahrungen waren gering, klein an Zahl, und sicher nicht genügend für ein Phänomen wie Lilli O’Leary. Also hielt sie sich zurück, auch wenn es ihr manchmal die Kehle zuschnürte, wenn sie fast erstickte an dem Bedürfnis, alles von dieser früheren Liebsten zu wissen.

Denn sie war schwach vor Liebe. Sie glaubte nicht wirklich, was wirklich geschah, ob am Tage oder in der Nacht. Lilli keuchte manchmal: »Was noch? Was willst du noch? Hol die Nagelschere und stoß sie mir ins Fleisch! Nicht das Bratenmesser, bitte! Daran könnte ich sterben. Lieber an dir. Lieber an dir … Warum bist du so hungrig, so unstillbar?«

Meta hatte genug Psychoanalyse gelesen. Lilli lag gar nicht so falsch. Meta war nicht zu stillen. Und wenn wiederum Lilli sich über sie beugte und sie immer wieder neu liebte, fühlte Meta sich verloren wie Captain Scott, der Polarforscher.

Jedes Mal ließ sie alles zurück, im Eis, in der Fremde, damit es dort ewig ruhte – und erwachte morgens neben der liebreizendsten Freundin, die die Augen aufschlug und sie anlächelte.

Die größte Freude war zum Sterben schön. Und sie fürchtete sie, jedes Mal. Lilli wusste das. »Und erst die Vorfreude!«, sagte sie und lachte. »Schon an der leidest du herrlich. Ich auch!« Lilli war unglaublich.

 

Die Katze kam ins Zimmer. Sie bewegte sich steif. Es fiel ihr schwer, den Kopf zu heben und Meta auf der Leiter anzublicken, aber sie tat es, unverwandt. Meta, die bei Reihe drei des Regals angelangt war, erwiderte den Blick des Tieres und stieg die Leiter hinunter. »Klo schmutzig?«, fragte sie. Als Mopsa nur matt den Schwanz bewegte, nahm sie sie auf den Arm und blies ihr warme Atemluft ins Genick. »Hunger?« Mopsa antwortete mit einem deutlichen »Wah!«, und Meta trug sie in die Küche.

Abends kochte sie für Mopsa Fisch mit Haferflocken, aber morgens wollte das eigensinnige Tier nun mal Dosenfutter. Meta öffnete eine Dose, nahm einen frischen Teller aus dem Schrank und verteilte die rötlich-grobe Masse darauf. Dabei sprach sie der Katze Mut zu. »Du weißt, es ist ein Dreckszeug: Abfälle, stark angefault, stark aufgepeppt. Kollegen aus der Überproduktion der Perserkatzen- und Kleinhundezucht, vor allem Dackelwelpen, geschundene Hühner aus Legebatterien, dazu Farb-, Lock- und Suchtstoffe. Wohl bekomme es dir.« Mopsa dankte zierlich, indem sie ihren Kopf einen Moment in Metas Hand drückte und dann die ersten Bissen nahm.

Wie schwierig, sinnierte Meta, wenn man die Augen oben im Gesicht hat, ohne Messer-Gabel-Löffel nur mit dem Mund essen muss, und nicht sehen kann, was man isst.

Das Telefon läutete. Ach, das wird Babette sein, dachte Meta. Babette hieß eigentlich Elfriede und fand ihren Namen scheußlich. Sie war die achtzigjährige Mutter einer lange verloren geglaubten Schulfreundin von Meta und rief oft um diese Zeit am Vormittag an.

Meta hatte vor ein paar Jahren ein Buch über die Liebesbeziehung zweier dänischer Schriftstellerinnen geschrieben, und durch diese Veröffentlichung kamen einige Freundinnen zu ihr zurück, von denen sie ewig nichts mehr gehört hatte. Sie erkundigten sich beim Verlag nach ihrer Telefonnummer.

Vor nicht langer Zeit auch Hanna, die sich am Telefon mit einem völlig fremden Nachnamen meldete, Meta siezte und vermeldete, dass sie seit fünfzehn Jahren in Frankfurt wohne, in derselben Stadt! Und sie waren sich nie begegnet. Vielleicht nicht ganz so verwunderlich, denn Meta ging selten aus, und Hanna bewegte sich in ganz anderen Kreisen.

Meta hatte sie, die vor zwanzig Jahren in die Schweiz gezogen war, immer dort gesucht. Immer, wenn jemand in die Schweiz fuhr, hatte sie gesagt: »Bitte schaut in die Telefonbücher! Sie muss doch irgendwo sein!« Aber der alte Name war nicht aufzufinden. Der erste Ehename auch nicht. Und wie sollte Meta wissen, dass es inzwischen schon einen dritten gab?

Hanna hatte ihr so gefehlt in ihrem Leben. Hanna war ihr Schulschatz gewesen. Eine große Liebe, mit allem Hass, ehe man dergleichen auch nur denken durfte. Mief stieg auf von allen Altären. Auch von denen der Literatur. Die einzigen Bücher, die Meta damals zu ihrem heimlichen Thema finden konnte, waren Radclyffe Halls Quell der Einsamkeit gewesen und Djuna Barnes’ Nachtgewächs. Nach der Lektüre dieser Werke hätte sie sich eigentlich gleich erschießen können. Aber Meta war zäh.

»Babette« nannte sie Hannas Mutter, seit diese ihr gestanden hatte, wie sehr sie ihren gewohnten Vornamen ablehnte. Meta fragte sie nach der guten Taufsitte ihrer Geburtsjahre. »Du musst doch einen weiteren Vornamen haben.« Sie hatte. Eben außer Elfriede noch Babette, aber sie konnte sich nach acht Jahrzehnten nur schwer daran gewöhnen.

»Hier ist Elfriede.«

»Grüß dich, Babette!«

»Ach ja, Babette. – Also, Meta, mein liebes Kind, hör mal zu, mir ist gar nicht wohl. Der Sägmüller hat vorhin angerufen, du weißt doch, der Lektor, und er wollte Hanna sprechen, wegen der Buchmesse nächstes Jahr. Dann hat er sich unterbrochen und entschuldigt, weil jemand ins Zimmer kam. Eine ganze Weile hat er den Hörer zugehalten, dann ist er ihm aus der Hand gefallen, glaube ich, und dann hörte ich so ein komisches Geräusch, so ein Knacken oder Krachen, und er meldete sich gar nicht wieder. Nur im Hintergrund war kurz so was wie – ja, wie Gestöhne, und dann nichts mehr, und dann kam das Besetztzeichen. Na gut, wir wissen ja, dass der Sägmüller ein Bock ist, aber normalerweise hängt er doch vorher den Hörer auf, oder? Mir ist das nicht geheuer. Ob ihm was passiert ist? Was soll ich denn nun machen?«

Was es für Zufälle gab! Meta war hellwach. »Wann war das, Babette?«

»Zwanzig nach neun, ungefähr. Meine Putzfrau klingelte gerade, kam mal wieder zu spät.«

»Babette, ich gehe im Verlag vorbei. Wenn ich was erfahre, rufe ich dich gleich an.«

»Ach ja, bitte tu das.«

Meta legte auf und wählte gleich darauf mit fliegenden Händen die Durchwahl von Sägmüller. Besetzt.

Eine Minute später saß sie in ihrem alten Volvo und fuhr, viel zu schnell, zum nahegelegenen Verlag. Sie kannte die Frau an der strengen Rezeption recht gut; trotzdem leitete ihr Instinkt sie, hinter das Gebäude zu fahren, auf den Hof.

Sie parkte so schräg ein, dass jeder normalbegabte Fahrer noch hinausrangieren konnte und rannte zum Hintereingang des Verlagshauses.

Im Treppenhaus begegnete ihr niemand. Das war auch kein Wunder. Im ersten Stockwerk saßen die Lektoren der Unterschicht – Taschenbuch und ähnliche Zweitverwertungen – in kaninchenstallartigen Verschlägen, und die saßen allemal fest.

Im zweiten Stock war man kreativ und bastelte an seiner Karriere. Auch das bannte auf die Sitze.

Meta erreichte das dritte Stockwerk, die olympische Etage. Da roch es sogar besser als unten, als wären die Putzfrauen angewiesen, nur hier Lavendelöl ins Wischwasser zu geben.