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FRAUEN IM SINN

 

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Verlag Krug & Schadenberg

 

 

Literatur deutschsprachiger und internationaler

Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,

historische Romane, Erzählungen)

 

Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen

rund um das lesbische Leben

 

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Karin Kallmaker

Es begann mit einem Kuss

Roman

 

 

Aus dem amerikanischen Englisch
von Gitta Büchner

K+S digital

Für Maria, Kelson und Eleanor.
Wieder einmal ist Moogie fertig. Jedenfalls vorläufig.

Besonderer Dank geht an meine auf der Stelle verfügbaren Quellen, insbesondere Lori Lake für ihre kurzfristigen Erläuterungen ballistischer Zusammenhänge. Von ganzem Herzen danke ich den wichtigsten Förderinnen meiner schriftstellerischen Schöpferkraft – meinen Leserinnen, für die sich Blut, Schweiß und Tränen lohnen. Meine tiefe Wertschätzung schließlich gilt Katherine V. Forrest, weil sie mich ebenso freundlich wie entschieden herausgefordert hat, über mich hinauszuwachsen.

Zwanzig. Wer hätte das gedacht? Kleine grüne Triebe – wo sind sie hergekommen?

1

In Gracie’s Café, alles fair gehandelt und bio und auf halbem Weg zwischen CJs Büro und Abbys Klinik, drängten sich die Paare, die sich hier nach Feierabend trafen. CJ warf einen prüfenden Blick durch den Raum und zu den Ausgängen, bevor sie ihre Aufmerksamkeit widerstrebend wieder auf Abby richtete.

»Ich bin doch kein sexueller Pizzaservice, den du nur anzurufen brauchst, wenn du Appetit auf Sex hast.« Abby schleckte den Milchschaum von ihrem Rührstäbchen, doch ohne den für sie sonst so charakteristischen Genuss.

Aber du bist gekommen, lag CJ Roshe auf der Zunge. Es gehören immer zwei dazu, Tango zu tanzen. In Anbetracht der Geräuschkulisse aus Stimmen und Besteckgeklapper hätte sie auch so tun können, als hätte sie Abbys Worte gar nicht gehört.

Stattdessen versuchte sie es mit einem Ablenkungsmanöver. »Bei deinem Dienstplan und meinem vollen Terminkalender ist es gar nicht so einfach, sich zu verabreden.«

Abby ging nicht darauf ein. Sie senkte den Blick und betrachtete den Dampf, der aus ihren Kaffeetassen aufstieg. »Sieben Wochen«, sagte sie.

Also gut, ihr Ablenkungsmanöver hatte nicht geklappt. Grundwahrheiten, wie zum Beispiel die Tatsache, dass CJ erst am Tag zuvor aufgefallen war, wie lange sie sich nicht gesehen hatten, waren nicht gerade das, was Abby hören wollte. Abbys Einschätzung ihrer Beziehung war im Grunde korrekt, und CJ würde nicht so tun, als wäre es anders. Aber es lag ja nicht nur an ihr. Abby war von ihrer Arbeit als Assistenzärztin so sehr in Anspruch genommen, dass auch sie nicht angerufen hatte, um sich zu verabreden. Doch warum sollten sie darauf herumreiten, was bei ihnen nicht funktionierte, wenn das, was funktionierte, sie beide prächtig durch die Nacht bringen würde? Vielleicht konnten sie ein Mal ohne diese leidige Diskussion auskommen und gleich eine intimere Umgebung aufsuchen.

»Ich weiß.« CJ beugte sich vor und stützte die Arme vorsichtig auf den winzigen Tisch. Sie fuhr mit dem Finger über Abbys Handrücken. »Sieben Wochen.«

Sie spürte, wie ein Schauder durch Abbys Körper lief. Abbys Problem war, dass sie nicht zugeben wollte, dass es ihnen nur um Sex ging. Aus irgendeinem Grund hatte sie deswegen ein schlechtes Gewissen. Es war ja nicht so, dass eine von ihnen mit einer anderen zusammen war, also – was war schon dabei? Sex musste doch nicht zwangsläufig zum Traualtar führen, zu du und ich für immer und ewig hinterm Gartenzaun im Reihenhaus. Wie auch immer, das war nicht CJs Ding, und sie hatte Abby auch nie etwas anderes vorgemacht.

Ein Donnerschlag kündete einen weiteren Nachmittagsguss an, und die Luft im Café wurde trotz Klimaanlage schwül. CJ beobachtete, wie sich die Neuankömmlinge das Wasser von den Kleidern schüttelten. Denver im August machte den Gedanken an Regenmäntel überflüssig – es war die Jahreszeit, wo man nach einem Wolkenbruch im Nu wieder trocken war.

CJ warf erneut einen prüfenden Blick durch den Raum, bevor sie sich wieder Abby zuwandte. Wenn Abby wirklich sauer wäre, hätte sie sich CJs Berührung entzogen. CJs Puls schnellte in die Höhe, als sie die feine Röte bemerkte, die Abbys hellen Hals hochstieg und ihr Dekolleté überzog, das von einer offenherzigen Bluse mehr enthüllt als verborgen wurde. CJ war ziemlich sicher, dass sie genau diese Bluse schon einmal mit den Zähnen aufgeknöpft hatte. Und sie hätte wetten mögen, dass Abby diese Seidenbluse nicht im Dienst getragen hatte, ebenso wenig wie CJ ihr maßgeschneidertes Hemd auf der Arbeit bis zum Dekolleté offen getragen hatte.

»Ich bin nicht – lass das, CJ!«

CJ zog ihren Finger zurück. »Hab ich dir je etwas vorgemacht?«

»Nein«, gab Abby zu. Sie warf ihr schulterlanges braunes Haar zurück, und plötzlich aufflammender Ärger verzerrte ihr schönes Gesicht. »Nein, du hast nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich in deinem Leben fürs Ficken zuständig bin, wenn dir danach ist.«

»Du kannst mich immer anrufen.«

»Und deiner sexy Stimme lauschen, die mich auffordert, eine Nachricht auf deinem AB zu hinterlassen?«

»Eines Tages wirst du die Frau deiner Träume finden, Abby. Die große Liebe, mit Diamantring und allem Drum und Dran.« Bla, bla, bla, dachte CJ. »Aber bis dahin kannst du dich doch noch ein wenig amüsieren.«

»Du meinst, du willst dich mit mir amüsieren.«

»Soll das heißen, dass es dir keinen Spaß macht?« CJ konnte das sardonische Heben der Augenbraue ebenso wenig verhindern wie den gezielten Blick auf die verführerischen Kurven unter der enganliegenden Seidenbluse.

Abby wurde wieder rot, und CJ war sich sicher, dass Abby dem Nachhall der weniger anständigen Worte lauschte, die sie ihr bei ihrem letzten Date ins Ohr geflüstert hatte. »Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Ich wünschte nur …«

»Vergiss es. Das ist einfach nicht mein Ding.« Und wird es auch nie sein, dachte CJ bei sich.

Abby sah sie traurig an. »Ich weiß.«

Und trotzdem müssen wir jedes Mal wieder darüber reden, hätte CJ beinahe gesagt. »Möchtest du etwas essen?«

»Nein.« Abbys kleiner Seufzer war eine Mischung aus Verdruss und Resignation. Mit einem schwachen Lächeln fügte sie hinzu: »Du weißt doch, was ich will.«

CJ blieb nach Möglichkeit bei der Wahrheit. Das machte das Lügen so viel leichter. »Ich möchte die Nacht mit dir verbringen – ehrlich.«

»Die ganze Nacht? Dann lass uns zu dir gehen. Du machst das bessere Frühstück.«

CJ drückte Abbys Hand. »Frühstück machen und alles davor wird mir ein Vergnügen sein.«

Abby griff nach ihrer Handtasche, und als CJ aufstand, ließ sie den Blick durch das überfüllte Café schweifen, um sich zu vergewissern, dass der Weg, den sie sich vorher ausgeguckt hatte, auch wirklich der beste war, um hier rauszukommen. Soweit sie sehen konnte, legte niemand diese betonte Lässigkeit an den Tag, die ihre innere Alarmglocke zum Schrillen brachte, aber ihr Blick blieb an einem Durchschnittstypen in einem Durchschnittsanzug hängen, der so offensichtlich den Schwanz einzog, dass sie dachte: Jemand hat gerade sein Lieblingsspielzeug kaputt gemacht.

Sie warf einen kurzen Blick auf seine Begleitung. Sah genauer hin. Konnte den Blick nicht lösen. Platinblondes Haar bis zur Hüfte, glatt wie Nähseide, in dem sich das Licht fing wie in einem Diamanten. Die seidig glänzende Bluse, deren Farbton an das blaugrüne Gras Kentuckys denken ließ, betonte ihre blassrosa Haut. Ihre Nase, etwas zu lang, um als klassisch schön zu gelten, unterstrich Augen von kristallklarem Blau. Und dieser große, geschwungene Mund …

»Kommst du?«

»Ja, natürlich.« CJ verbarg ihr Unbehagen und warf einen letzten Blick zu der nordischen Schönheit hinüber. Es würde ihr nicht schwerfallen, diese Frau in Erinnerung zu behalten. Sie hätte nichts dagegen, wenn diese langen Beine und die ausdrucksvollen Augen in ihren Träumen auftauchten. Die Frau schenkte ihrem Begleiter ein zuckersüßes Lächeln. Er sah aus, als ob er sich am liebsten unter dem Tisch verkrochen hätte, um seine Wunden zu lecken.

Als sich die Tür hinter ihr schloss, widerstand CJ dem Impuls, sich noch einmal umzusehen. Die Stimme in ihrem Kopf hörte sich ganz nach Tante Bitty an, wenn sie sich über ihre Tarotkarten beugte. Träum weiter, sagte die Stimme, von solchen Frauen können du und deinesgleichen nur träumen.

Abby fuhr meistens langsamer als CJ, und so verloren sie sich auf dem Weg zu CJs Apartment bald aus den Augen. CJ besänftigte ihren Unmut über den Verkehr mit Diana Kralls sinnlich-verführerischer Stimme. Sie ließ die Altstadt um das Capitol mit ihren ordentlich im rechten Winkel angelegten viktorianischen Straßen hinter sich und fuhr in Richtung Osten die langen, breiten Boulevards entlang, die Denver den Ruf einer Stadt des grenzenlosen Westens eingebracht hatten. Sie beschleunigte, als sie die Colfax Avenue erreichte. Wie die meisten Pendlerinnen und Pendler war sie auf dem Weg in das ausufernde Geflecht der mehrspurigen Hauptverkehrsstraßen, die aus der Stadt hinausführten.

Von dort verteilte sich der Verkehr auf die großen Fernstraßen, die einem die Illusion gaben, dass alle Ziele eigentlich ganz in der Nähe lagen, dass jeder Ort, den anzusteuern sich lohnte, mit Denver verbunden sei. Anders als die meisten anderen, war CJ jedoch nicht auf dem Weg zu einer der neuen Schlafstädte wie Aurora oder Centennial. Ihr Ziel war ein kleiner Apartmentkomplex aus den fünfziger Jahren, der noch innerhalb der Stadtgrenzen lag und bis jetzt von den Umgestaltungen in der Nachbarschaft verschont geblieben war.

Sie fuhr an Blocks mit schicken Eigentumswohnungen vorbei, die mit Swimmingpools und Fitnesscentern ausgestattet waren, passierte die luxussanierten Viertel, in denen kleinere Grundstücke zusammengelegt worden waren, um Platz für stattliche Anwesen zu schaffen, und die ganze Zeit ging ihr Blick zwischen Verkehr, Tachometer und Rückspiegel hin und her. Sie selbst war zufrieden mit ihrem bescheidenen Apartment im ersten Stock. Niemand würde sie an einem solchen Ort vermuten. Und – wichtig für ihren Seelenfrieden – die Wohnung hatte einen Hinterausgang.

CJ fuhr auf einen der Gästeparkplätze, damit Abby auf dem für sie reservierten Parkplatz direkt bei der Haustür parken konnte. Die Autos daneben kannte sie wie auch die Leute, die eben von der Arbeit nach Hause kamen. Sie lief durch den Regen, jetzt nur noch ein dunstiges Nieseln, und war in Rekordzeit die Treppe hoch und in ihrer Wohnung. Sie eilte in das winzige Gästeschlafzimmer, das sie als Arbeitszimmer nutzte. Dort schloss sie ihr Handy und ihren PDA an die Ladestationen an und stellte das Telefon auf die Mailbox um.

Bis Abby eintraf, blieben CJ nur wenige Minuten. Sie schlug den unbeschrifteten Ordner auf, der immer auf ihrem Schreibtisch lag. Ein vergilbter Zeitungsausschnitt segelte zu Boden. Sie stopfte ihn wieder zwischen die anderen und fuhr mit dem Finger die handschriftliche Liste entlang, die aus einem Dutzend Namen und Beträgen bestand. Sie ging sie jeden Abend durch, fast ohne Ausnahme. Einmal die Woche öffnete sie den Safe hinten in dem kleinen Wandschrank und fügte dem Inhalt etwas hinzu. Neun der Namen waren inzwischen durchgestrichen, und CJ erlaubte sich ein leises Lächeln. Wegen der ersten Person auf ihrer Liste war sie damals nach Denver gezogen. Und acht Jahre später hockte sie noch immer hier, handelte mit Immobilien, als ob es schon immer ihr sehnlichster Karrierewunsch gewesen wäre, und strich langsam aber sicher einen Namen nach dem anderen von ihrer Liste.

Als sie das stotternde Motorengeräusch von Abbys Wagen hörte, ließ sie den Ordner in der obersten Schreibtischschublade verschwinden. Vom Fenster aus beobachtete sie, wie Abbys VW unter dem überdachten Parkplatz verschwand. Alles andere dort unten hatte sich, so weit sie sah, nicht verändert.

Sie legte eine betörende Ella-Fitzgerald-CD ein und öffnete Abby die Tür, noch ehe diese anklopfen konnte. Sie zog Abby in die Wohnung, und in ihrer Hast scherte sich keine von beiden darum, dass die Einkaufstüte und Abbys Handtasche auf dem Fußboden landeten.

»Bitte, Baby«, flüsterte Abby. »Mach schnell.«

»Warte, Süße, lass mich wenigstens die Tür schließen.«

Gleich darauf lehnte CJ mit dem Rücken an der geschlossenen Wohnungstür und stand mit einem Fuß auf der Tüte, in der sich vermutlich Abbys heißgeliebte Rosinenbrötchen befanden.

»Warum brauchst du so lange, um mich auszuziehen?« Zwischen zwei Küssen lächelte Abby sie herausfordernd an.

»Vielleicht sollten wir es wenigstens bis zur Couch schaffen.« CJ war froh, dass Abby ihren Humor wiedergefunden hatte. Sex sollte Spaß machen, richtig Spaß, und mit Abby war das ganz sicher der Fall.

Wenn Abby sich einmal dazu entschlossen hatte, dann gab sie Gas wie eine Rennfahrerin beim Anblick der grünen Flagge. CJ küsste ihre heißen Lippen, und wie immer weckte dies sofort dieselbe drängende Begierde in ihr. Sie fielen nicht allzu anmutig auf die Couch, und ihre Kleider waren ihnen immer noch im Weg.

Abby sagte lachend: »Das ist meine Hand«, doch dann stieß sie diesen leisen Seufzer aus, der CJ verriet, dass sie durch die Bluse ihre Brustknospe gefunden hatte. Hitzige Leidenschaft entflammte. Abby ließ den Kopf nach hinten sinken und gab sich ganz CJ hin. CJs Mund widmete sich den entzückendsten schwellenden Brüsten, die zu kennen sie das Vergnügen hatte.

Eine Gänsehaut überzog Abbys Arme, und CJs Fingerspitzen kribbelten köstlich, als sie leicht darüberstrich. Abby war wirklich etwas Besonderes, und vielleicht würde CJ sich mehr auf sie einlassen, müsste sie nicht immer darauf gefasst sein, sich jeden Moment ohne ein Wort des Abschieds aus dem Staub machen zu müssen. Das unvermittelte Auftauchen eines altbekannten Gesichts oder ein entschlossenes Klopfen an der Wohnungstür würden genügen, um sie Hals über Kopf über die nächste Staatsgrenze flüchten zu lassen. Es würde ihr nichts ausmachen, wenn Abby sie nie vergäße, doch ihr das Herz brechen wollte sie nicht.

»Nichts könnte schöner sein als das hier«, flüsterte CJ. Sie ließ sich Zeit, Abbys Mund mit der Zunge zu erforschen, um dann zu anderen Stellen vorzudringen, die ebenso feucht und einladend waren.

Abby reagierte mit einem vertrauten wohligen Summen, und ihre Hände umfassten CJs Hinterkopf mit einem weiteren anschwellenden Stöhnen der Lust. Was brauchte es mehr? Das hier war nicht nur gut – es war phantastisch.

Nur wenige Minuten später rief Abby ihren Namen mit einer Selbstvergessenheit, die CJ mit tiefer Zufriedenheit erfüllte und eine Stelle in ihr berührte, die niemand sonst je berührt hatte. CJ zog Abby an sich und küsste sie über das Abebben ihrer Lust hinweg, erstickte das leise gemurmelte »CJ«, das Abby fortwährend wiederholte. Einzig in diesen Momenten, die nur aus süßen Worten und intimen Berührungen, aus zärtlichen Liebkosungen und verzücktem Lächeln bestehen sollten, bedauerte sie, dass Abby sie bei dem Namen einer Frau rief, die es gar nicht gab.

2

»Es ist ja nicht so, dass ich für immer Teilhaber einer so kleinen Kanzlei bleiben möchte. Ich bin ehrgeizig.« Vor lauter Eifer wurden Brents Augen ganz weich.

Er erinnert mich an ein Rehkitz, dachte Karita Hanssen. Was um Himmels willen sollte sie sagen, um ihn vom Thema abzubringen?

Mit einem unglaublichen Sinn für den richtigen Augenblick rief der Barista: »Zwei Espresso macchiato!« Brent, ganz der Kavalier, kämpfte sich durch die Schlange, um sie sich zu sichern und servierte ihr den Kaffee mit einer schwungvollen, formvollendeten Verbeugung.

»Danke, der Herr.« Karita stand auf, um ihren Kaffee zu verfeinern – sie trank ihn gern süßer und mit mehr Milch als Gracie’s ihn zubereitete. Während sie den braunen Zucker einrührte, überdachte sie ihre Möglichkeiten. Brent hatte vor, sich mit ihr zu verabreden, und das war ihr unangenehm. Sie arbeiteten zusammen, und Verabredungen unter Arbeitskollegen … Sie wusste von drei Fällen, die als »das Schlimmste, was ich je getan habe« galten, einer davon war noch ziemlich frisch. Ihr Job – sie war für die Büroorganisation und die Rezeption bei einer Anwaltskanzlei im Stadtzentrum zuständig – war genau richtig für sie, und sie hatte nicht vor, ihn zu riskieren.

Ihre Großmutter, die vom Himmel herab ein liebevolles Auge auf sie hatte, würde es zweifellos so betrachten: Brent war Anwalt und somit eine gute Partie, für die es sich lohnte, einen bloßen Geldjob aufzugeben. Aber Großmutter wusste auch, dass Brents größter Nachteil sein Geschlecht war. Armer Kerl. Es war ja nicht sein Fehler, und deshalb musste sie es ihm auf die sanfte Tour beibringen. Er war wirklich nett, und sie wollte ihn nicht verletzen. Es hatte keinen Sinn, jemanden zu verletzen – die Welt krankte ohnehin schon, auch ohne dass sie noch dazu beitrug.

Ein warnendes Donnergrollen erklang, während sie in ihrem Kaffee rührte und den Autoverkehr auf der verstopften Straße vor dem Café betrachtete. Zwei Jahre – und sie hatte sich immer noch nicht an den Sommer in Denver gewöhnt. Minnesota hatte sie fit gemacht für Hitze, Unwetter und hohe Luftfeuchtigkeit. Colorado war zwar heiß, aber die Luft war meistens so trocken, dass Schauer am Nachmittag höchst ungewöhnlich waren.

Wie um ihre Überlegungen Lügen zu strafen, leitete das nächste Donnern einen Regenschauer ein, der die Schlaglöcher füllte und die Leute schutzsuchend von der Straße trieb. Sie bewegte ihre Zehen in den Pumps, die sie auf der Arbeit trug, und wünschte, sie hätte daran gedacht, sie vor dem Treffen mit Brent gegen ihre Allzweck-Clogs einzutauschen. Aber nasse Füße waren ein geringer Preis – der Himmel würde gegen Abend aufklaren, es würde abkühlen, und die Luft, fast siebenhundert Meter oberhalb von Denver, würde klar und frisch sein. Sie musste innerlich lachen, als eine Schäferhundmischung im Regen stehenblieb und sich, zum Ärger ihres schirmlosen Besitzers, das Wasser aus dem Fell schüttelte.

So. Sie hatte jetzt lange genug in ihrem Kaffee gerührt, und Brent, der süße, kleine Brent mit dem Rehkitzblick, wartete auf sie. Sie klebte sich ein Lächeln ins Gesicht und schickte sich an, zu ihrem Tisch zurückzukehren.

»Lassen Sie mich das für Sie aufheben«, erbot sich der Mann an der Anrichte mit den ökologischen Kaffeezusätzen, als ihr die Serviette zu Boden segelte.

»Danke.« Karita nahm die Serviette entgegen und sah Interesse im Blick des Mannes aufblitzen. Er trug einen Ehering am Finger, und sie würde wetten, dass er ein Foto mit zwei Komma sieben Kindern in seiner Brieftasche hatte.

Manchmal war sie versucht, wildfremden Männern – die sie nie wiedersehen würde – die schlichte Wahrheit zu sagen. »Ich bin eine lesbische Elfe, also lauf schnell heim zu deiner Frau.« Wie würde dieser Typ wohl darauf reagieren? Na ja, sie war nicht wirklich eine Elfe, eine Tatsache, an die sie sich immer noch nicht so ganz gewöhnt hatte. Als Kind hatte sie fest daran geglaubt, und insgeheim hegte sie noch immer die Hoffnung, dass es stimmte, auch wenn sie im Grunde wusste, dass es unmöglich war. Sie war jetzt siebenundzwanzig und wünschte sich immer noch, wenigstens ein bisschen zaubern zu können.

Sie schenkte dem verheirateten Mann ein distanziertes Lächeln und schlängelte sich durch die dicht an dicht stehenden Tische. Um die Mittagszeit platzte Gracie’s aus allen Nähten. Eine Menge Menschen scharten sich um die Tischchen, um Kaffee zu trinken und Muffins zu essen. Nach Feierabend hingegen saß an jedem Tisch ein Paar. Das Paar am Nachbartisch schien, den innigen Blicken nach zu urteilen, kurz vor einem Heiratsantrag zu stehen. Direkt daneben war eine Frau mit dunklem Teint, die dichten kurzen Locken straff zurückgekämmt, eindeutig dabei, den ersten Schritt zu tun – mit dem Finger zeichnete sie eine Linie auf der Hand ihrer brünetten Begleiterin nach. Es war nicht zu übersehen, was beide Frauen im Sinn hatten. Karita verspürte mehr als einen Anflug von Neid. Männer waren notorisch hinter ihr her, aber Frauen schienen partout nicht an ihr interessiert zu sein.

Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht eine Art Signal »fruchtbar und willig« aussandte, das Männer zum Sabbern brachte, aber Lesben in die Flucht schlug. In Denver schien es prozentual viel weniger Lesben zu geben als in Minneapolis, und – was ihre Flirtversuche noch komplizierter machte – viele Frauen, die wie Lesben aussahen, waren keine. Sie hatte einige Frauen angeflirtet, die sich dann lachend als »falsch positiv« bezeichnet hatten. Karita aber, so meinten sie, sei ohne jeden Zweifel »falsch negativ«.

Das Problem hatte ihr schon im Peace Corps zu schaffen gemacht. Anfangs hatte sie auch dort nicht viele Verabredungen. »Du siehst einfach zu umwerfend aus«, hatte eine Freundin ihr erklärt und hinzugefügt: »Die Lesben sehen, wie all diese tollen Typen auf dich abfahren, und du lässt einen nach dem andern abblitzen. Da rechnen sie sich auch keine Chancen aus.«

»Das ist doch Blödsinn«, hatte Karita heftig protestiert. Sie war lesbisch – klar, dass sie dann hundert Prozent der Männer, die mit ihr ausgehen wollten, einen Korb gab. Die Hälfte von ihnen bezeichnete sie dann als Lesbe, also warum kamen die dann nicht darauf? Schließlich hatte sie doch ein oder zwei Frauen davon überzeugen können, dass sie nicht hetero war – und es unter Ausschluss der Öffentlichkeit zur Zufriedenheit aller bewiesen. Nach dem Peace Corps hatte es dann Mandy gegeben. Sie unterdrückte eine flüchtige Erinnerung an Augen voller Zuneigung, die hart wie Stein, an herzliche Umarmungen, die steif und kalt geworden waren.

Seit ihrem Umzug nach Denver, der nun fast zwei Jahre zurücklag, hatte sie neue Freundinnen gewonnen, aber niemanden gefunden, mit der sie sich eine längere Beziehung hätte vorstellen können. Sie schenkte der eleganten Dunkelhaarigen einen letzten Blick. Statt dunkel, sexy und liebestoll, dachte sie, als sie den leeren Stuhl an ihrem Tisch ins Auge fasste, hatte sie – Brent. Den netten, liebenswürdigen Brent. Die Brents dieser Welt waren die Strafe dafür, dass sie die Kanzlei anfangs für zu konservativ gehalten hatte, um sich als lesbisch zu erkennen zu geben. Jetzt hielt sie es nicht mehr für riskant, ihre Kolleginnen und Kollegen darüber aufzuklären – die meisten mochte sie –, aber es gab, abgesehen davon, sich die Brents vom Leib zu halten, keinen triftigen Grund, ihr Liebesleben zur Diskussion zu stellen. Keine Liebste, die sie zu Partys hätte mitbringen, keine Partnerin, die sie ihrem Chef hätte vorstellen können.

Wenn sie noch länger hier stehenblieb, würde ihr Kaffee kalt werden und Brent an Altersschwäche sterben. Sie holte tief Luft, und als sie Brent ins Gesicht sah, hatte sie ihre kleine Rede parat.

Er stand auf, um ihr mit einer weiteren höflichen Verbeugung den Stuhl zurechtzurücken. Er hatte ein nettes Mädchen verdient, wirklich, das hatte er, aber es sollte eine sein, die ihn nicht leise bedauerte, weil er keine Frau war.

Sie setzte sich, schenkte ihm ein verschwörerisches Lächeln und begann: »Ich kann dir gar nicht sagen, wie entspannend ich es finde, mit einem guten Freund Kaffee zu trinken. Nur zu oft führt eine Einladung auf einen Kaffee zu der Bitte um eine Verabredung, und wenn man zusammen arbeitet, kann das ganz schön peinlich werden. Aber du bist anders, Brent, und ich weiß das wirklich zu schätzen …«

Brent würde darüber hinwegkommen, sagte Karita sich, als sie Gracie’s verließ, und um ein weiteres Treffen musste sie sich keine Sorgen mehr machen. Zum Glück war Freitag, und er hatte das ganze Wochenende, um sich von der Abfuhr zu erholen. Vielleicht war ja am Montag alles bestens. Sie glaubte fest daran, dass er bald schon als der Märchenprinz auf dem weißen Pferd in das Leben eines sehr glücklichen Mädchens reiten würde.

Sie holte ihren zuverlässigen Subaru aus der Tiefgarage, tauchte aus der Tiefe auf in den strahlenden Sonnenschein, der zwischen den Wolken hindurchbrach, die nach Osten, in Richtung Kansas, flogen. Blauer Himmel breitete sich von der Front Range der Rocky Mountains aus, die den westlichen Horizont beherrschten. Goldene Strahlen, blau gerändert, blendeten sie – ihre Großmutter hätte das wohl als gylden lyset oder ähnlich poetisch beschrieben. Wenn es um Stimmungen ging und Englisch ihr zu hart erschien, verfiel sie oft in ihre norwegische Muttersprache.

Es wurde jetzt schnell sehr warm, und die Straße trocknete rasch. Aus Erfahrung mied Karita die verstopften Freeways, wenn sie am Freitagabend von der Arbeit ins Frauenhaus fuhr. Auf den Landstraßen brauchte sie länger, aber sie waren schöner zu fahren, und sie konnte die Sonne besser genießen. Die Klimaanlage ihres Wagens hatte im vergangenen Jahr den Geist aufgegeben, und so legte sie einen Arm lässig auf das heruntergekurbelte Fenster und hörte im Radio den Sender aus Boulder, auch wenn der Empfang aus unerfindlichen Gründen immer gestört war, wenn sie Richtung Norden fuhr.

Der Verkehr staute sich am Coors Field Stadion, wo gerade ein Spiel der Rockies im Gange war. Sie machte sich nichts aus Baseball, aber sie wusste, dass die Rockies um die Meisterschaft spielten, da war jede Partie entscheidend. Egal wie es ausging, im Frauenhaus herrschte nach großen Sportereignissen immer enormer Andrang, und das würde an diesem Abend nicht anders sein.

Sie bog in die ruhige Wohnstraße ein, in der nichts darauf hindeutete, wer das weitläufige Farmhaus an der Ecke bewohnte. Die weißgetünchte Holzfassade passte nicht zu den verklinkerten Anbauten, die die ehemalige Familienfarm zu überwuchern drohten. Karita mochte das alte Haus mit seiner geräumigen Veranda, den knarzenden Holzfußböden und den verwinkelten Fluren.

Der Bitte der Leiterin entsprechend, parkte Karita jedes Mal woanders, weil die Nachbarn sich immer wieder über den Mangel an Parkplätzen vor ihren eigenen Häusern beschwerten. Emily hatte wahrlich genug andere Sorgen.

Sie stieg aus dem Auto und hielt einen Moment inne, um Atem zu holen. Auch nach zwei Jahren vergaß sie ab und zu, wie hoch sie hier waren und atmete nicht tief genug. Nach einigen tiefen Atemzügen war ihr Kopf wieder klar, und sie eilte zur Rückseite des alten Hauses. Als sie die Hintertür öffnete, wäre sie fast mit Emily zusammengestoßen.

»Ich bin so froh, dass du da bist! Du bist früh dran – du bist ein Engel.« Emily trug einen hohen Stapel Bettwäsche auf den Armen, über den ihre leuchtend grünen Augen gerade eben noch hinwegblicken konnten. »Kannst du das Schokoladenzimmer herrichten?«

Karita verstaute ihre Sachen im erstbesten freien Spind, schloss ihn ab und steckte den Schlüssel ein. Soweit zu ihrer Hoffnung, das Kostüm, das sie bei der Arbeit trug, gegen bequeme Jeans und ein T-Shirt einzutauschen. Vielleicht später, wenn die neue Bewohnerin sich eingerichtet hatte. Nicht nur sie selbst würde sich wohler fühlen, auch die Frauen würden ihr gegenüber unbefangener sein.

»Natürlich.«

»Eine Mutter mit zwei Kindern, eines kann zur Mutter und das andere ins Kinderbett. Ich konnte sie nicht dazu bringen, ihren Namen zu nennen. Versuch du es mal. Sie sind im Gemeinschaftsraum und gucken Fernsehen.«

»Ich zeige ihr das Zimmer und führe sie durchs Haus«, versicherte Karita. »Wie ist es so gelaufen seit Dienstag?«

»Es war verdammt viel los, zum Verzweifeln. Ich schlage mich seit zwei Wochen mit ein und demselben Förderantrag herum, dabei brauchen wir das Geld dringend.«

»Ich wünschte, ich hätte Talent für so was.«

Emily sah noch erschöpfter aus als sonst. Ihr rundes Gesicht war blass, und eine tiefe Sorgenfalte zeichnete sich zwischen ihren Augenbrauen ab, was sie zehn Jahre älter aussehen ließ als achtunddreißig. Karita unterdrückte den Impuls, Emily ein paar silbergraue Haare aus ihrer wild abstehenden schwarzen Mähne hinter die Ohren zurückzustreichen – sie waren so rührend. Im Moment war Emily ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten – ein Foto von ihr hing in Emilys Büro. Auch wenn Karita beide Frauen gutaussehend fand, war es vielleicht keine gute Idee, auf die Ähnlichkeit hinzuweisen. Sie behielt ihre Hand bei sich.

»Du bist viel zu gut im Umgang mit den Frauen, um deine Energie auf Papierkram zu verschwenden. Ich weiß nicht, was ich ohne dich täte.«

Emily eilte mit schweren Schritten zum klingelnden Telefon.

Wenn es Karita möglich gewesen wäre, von dem zu leben, was Emily zahlen konnte – sie hätte mit Freuden jeden Job im Frauenhaus angenommen. Aber die ökonomische Notwendigkeit, für Lebensmittel, Benzin, Versicherungen, Reparaturen im Haus aufzukommen, hielten sie in ihrem zwar angenehmen, aber nicht besonders befriedigenden Job in der Kanzlei. Die ehrenamtliche Arbeit für Emily war weitaus sinnvoller, auch wenn sie nicht so viele Stunden leisten konnte, wie Emily gebraucht hätte. Es gab noch weitere ehrenamtliche Mitarbeiterinnen, und das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das sie an ihre Zeit beim Peace Corps erinnerte, war mehr als genug Ausgleich für den Aufwand. Sie war Teil eines größeren Ganzen. Die Zeit, die sie hier und im Tierheim verbrachte, verschaffte ihr enorme Befriedigung. Sie war mit ihrem Leben zufrieden. Hatte sie etwa nicht alles, was sie brauchte?

Sie machte rasch das Doppelbett für die Mutter und das ältere Kind und bezog die Matratze des Kinderbettes mit einem etwas ausgeblichenen Pu-der-Bär-Laken. Sie legte saubere Windeln und einige Reinigungstücher bereit, Zahnpasta und Zahnbürsten, Shampoo und kleine Seifenstückchen und ging dann die Familie suchen, um abzuschätzen, welche Schlafanzuggrößen sie brauchten.

Bevor sie den Gemeinschaftsraum betrat, holte sie tief Luft und zwang sich zu einem Lächeln. Allerdings verging es ihr fast, als sie die dunkelrote Schwellung um das eine Auge und die blauen Flecken auf den dünnen Armen der Frau sah. Ihre Tochter, rothaarig, die geflochtenen Zöpfe hingen ihr den halben Rücken hinab, hatte einen abwesenden Gesichtsausdruck, der Karita die Kehle zuschnürte. Sie war höchstens fünf und hatte schon viel zu viel von den Schattenseiten des Lebens mitbekommen.

»Hallo, ich bin Karita. Möchten Sie sich ansehen, wo Sie und die Kinder schlafen werden?«

Obwohl Karita bewusst Abstand hielt, schmiegte sich das Mädchen enger an die Mutter, die zusammenzuckte und das Baby auf ihrem Schoß in den Armen wiegte.

»Ja, natürlich, vielleicht. Ich weiß nicht … Wenn wir hierbleiben … Wenn ich die ganze Nacht weg bin, das wäre … Vielleicht sollte ich seine Mutter anrufen.«

Auf dem Weg zum Schokoladenzimmer füllte Karita die Pausen zwischen den unzusammenhängenden Äußerungen der Frau mit einem beruhigenden leichten Plaudern.

»Es macht wirklich keine Mühe. Sehen Sie, alles ist fertig, Sie können die Nacht hier verbringen, und die Kinder werden gut schlafen. Das brauchen sie jetzt. Die Tür lässt sich abschließen, sehen Sie? Ihre Tochter ist so wohlerzogen, und sie kommt ganz nach Ihnen, nicht wahr? Das Baby hat dasselbe rote Haar, das ist süß bei so einem Winzling. Ich weiß, er wird morgen früh wahrscheinlich nicht mehr so wütend sein, aber falls doch, müssen Sie sich etwas wegen der Kinder überlegen. Gefällt Ihnen die Bettwäsche? Ich mag diese am liebsten. Die meisten Kinder lieben Ferkel und Pu der Bär. Wie heißt das Baby?«

Sie war skrupellos, und sie wusste es. Aber sie hielt sich getreu an Emilys Training. Viele Frauen gingen immer wieder zu ihren prügelnden Männern zurück, die Kinder jedoch waren der Hebel, an dem die Frauenhausmitarbeiterinnen ansetzen konnten. Wenn kein Drogenmissbrauch im Spiel war, reagierten die meisten Frauen auf die Bedürfnisse ihrer Kinder – sie wollten das Beste für sie, wenn sie schon nicht an sich selbst dachten.

Pauline, deren leichtes Lächeln über die Müdigkeit in ihren Augen nicht hinwegtäuschen konnte, traf mit einer weiteren Frau und deren Kind ein, während Karita ihre Schützlinge noch herumführte. Die zwei Frauen ignorierten einander und ihre Blutergüsse, und das war typisch. Ihre Babys waren ungefähr im gleichen Alter, was ihnen eine gemeinsame Basis bot. Beide schienen der Typ zu sein, der still und stumm einsteckte, aber man konnte nie wissen. Es kam – wenn auch selten – vor, dass eine Frau die Misshandlungen, die sie erlitten hatte, an das erste Opfer, das sie fand, weitergab.

»Es wird voll heute Nacht«, sagte Pauline mit gesenkter Stimme, damit die Frauen sie nicht hörten. Sie rieb sich mit einer Hand über das dunkle Gesicht, und Karita fragte sich, wie lang ihre Schicht im Krankenhaus wohl gewesen war. »In Bandemere findet ein großes Autorennen statt.« Mit ihren Jeans und dem weiten Herrenhemd war Pauline eine der täuschendsten »Falsch Positiven«, die Karita kannte.

»Und die Rockies spielen. Da können wir gleich alle Zimmer herrichten.«

»Ich kann heute länger bleiben – Jerry ist mal wieder bei einem ökumenischen Treffen. Warum ziehst du nicht erst mal deine Bürokluft aus? Ich passe inzwischen hier auf.« Pauline scheuchte sie in die Küche. »Und dann kannst du schon mal Popcorn machen oder so.«

»Gute Idee.«

Und genau das tat Karita auch, beruhigt, dass alles seinen geordneten Gang nahm. Als sie einige Snacks auf Vorrat zubereitet hatte und gerade nichts anderes anstand, ging sie Emily suchen.

Emily stützte den Kopf müde auf den Ellbogen, während sie ein Aufnahmeformular ausfüllte. Das winzige Büro war einmal die Speisekammer gewesen und gerade groß genug für den schmalen Schreibtisch und ein paar Aktenschränke.

»Was denkst du?«

»Ich glaube nicht, dass sie auf Drogen ist.« Karita erwog die Bemerkungen, die die neue Bewohnerin gemacht hatte. »Er scheint nur am Wochenende zu trinken, und wenn er eine schlechte Woche hatte, kann sie ihm nichts recht machen. Das Mädchen ist traumatisiert, aber das hier ist nichts Neues für sie. Sie war schon öfter im Frauenhaus.«

»Den Eindruck hatte ich auch. Hast du den Namen rausbekommen? Das  Jugendamt wird danach fragen, wenn sie herkommen. Eine Freundin hat sie hier abgesetzt, aber ich hab sie nicht gesehen. Könnte eine Frau gewesen sein, die selbst schon mal hier war.« Emily schob ihre metallgefasste Brille auf die Nase zurück – eine Nase, die sie selbst einmal als dermaßen vorwitzig bezeichnet hatte, dass sie ihr Image als Große Alte Lesbe vollkommen ruinierte.

»Das Baby heißt Lila und das Mädchen Jenny.« Karita grinste. »Kann sein, dass es nicht ihre Jacke ist, aber innen auf dem Kragen steht Jones.«

Emily grinste zurück. »Ich weiß nicht, was ich mehr an dir schätze – deinen Körper oder deinen Verstand.«

Karita wurde rot, und sie wusste, dass es Emily nicht entging. »Was diese Art Detektivarbeit angeht, hatte ich die beste Lehrerin der Welt.«

Es klingelte an der Tür, und beider Lächeln erlosch. Ein schneller Blick auf den Überwachungsmonitor zeigte ihnen eine Polizistin in Uniform und eine Frau, die in ein Taschentuch weinte.

Emily seufzte. »Bei der werden wir zumindest wissen, wer sie ist.«

»Ich bin ziemlich sicher, dass sie schon mal hier war.« Keine Kinder – also würde sie wahrscheinlich zu ihm zurückgehen.

Die Rockies hatten ihr Spiel haushoch verloren. Karita interessierte sich nicht die Bohne für Baseball, aber die Bedeutung des Spiels hatten noch vor Mitternacht zwei weitere Frauen zu spüren bekommen.

»Wenn’s nur halb so viele Sportfans gäbe, hätten wir auch nur halb so viel zu tun.« Pauline schenkte sich einen Kaffee ein, als alle endlich Gelegenheit zu einer kurzen Atempause fanden. Sie schielte in ihre Tasse. »Wer hat den denn gemacht? Der ist ja schwärzer als ich.«

»Meine Schuld«, gestand Karita. »Ich hab wohl vergessen, die Löffel zu zählen. Er ist ein bisschen … ähm … stark.«

Pauline sah sie mit diesem Blick an, der aufmüpfige Patientinnen und Patienten mit Sicherheit augenblicklich zum Schweigen brachte. »Muss ich dir Nachhilfe im Zählen geben? Dieser Kaffee ist dick wie Pudding.«

»Ich hab’s gar nicht gemerkt. Kein Wunder, dass ich hellwach bin.« Emily blickte erschöpft von ihrer fast leeren Tasse auf. »Wenn’s nicht irgendwelche Sportereignisse sind, dann gäb’s andere Anlässe. Wir werden erst dann nur noch halb so viel zu tun haben, wenn nur noch halb so viele Männer glauben, sie könnten ihre Frauen als Punchingball benutzen.«

»Nicht nur Männer.« Lucy, die eingetroffen war, als Karita noch mit ihrer neuesten Bewohnerin beschäftigt gewesen war, spülte ihren Becher aus und stellte ihn aufs Abtropfbrett. Sie schob sich eine hellblonde Haarsträhne hinters Ohr, und ein winziger Regenbogen-Ohrring schimmerte auf. »Wahrscheinlich bin ich sexistisch, aber wenn eine Frau ihre Freundin verprügelt, schäme ich mich. Lesben sollten … Lesben sollten bessere Menschen sein.«

Emily stand auf und legte ihr mitfühlend den Arm um die Schultern. Sie waren ungefähr gleich groß, aber Lucy war drahtig wie ein Gepard. »Ich weiß, was du meinst. Und die von heute Abend – das alte Lied: Ich bin betrunken, und du bist an allem schuld.«

Pauline stützte den Kopf in die Hand. »Wenigstens kommt es vergleichsweise selten vor. Man sollte eigentlich meinen, ich hab hier genug gesehen, um von Männern die Schnauze voll zu haben …«

»Du hast doch einen guten Mann zu Hause«, sagte Karita. »Wenn ich an die Statistiken über junge verheiratete schwarze Frauen denke, die ich gerade gelesen habe …«

»Glaub mir«, sagte Pauline. »Ich sorge schon dafür, dass er mitkriegt, dass er was Besonderes ist und dass in der Gemeinde alle wissen, dass er sehr verheiratet ist.«

Lucy wandte sich um, sagte aber noch im Weggehen: »Er tut gut daran, dich wie eine Königin zu behandeln, Schwester, denn das bist du. Na, wenigstens hast du jemanden, an den du dich nachts ankuscheln kannst.«

Emily und Karita hoben ihre Becher, als wollten sie darauf anstoßen. Dann klingelte es an der Tür, und Karita stand auf. »Ich geh schon, Em.«

Um zwei Uhr morgens waren alle Mitarbeiterinnen der Nachtschicht eingetroffen und die Aufgaben verteilt. Das Haus war ruhig, als Emily und Karita aus der Küche in die Garage schlichen.

»Wie weit ist es bis zu deinem Wagen?« Die Garage platzte aus allen Nähten mit Emilys gepflegtem Minivan, zusätzlichen Kinderbetten, Rollbetten und Stapeln von Haushaltswaren.

»Eine Straße weiter. Ich wollte nicht, dass Mrs. Carruthers dir wieder ins Gesicht springt, und da war der einzige freie Parkplatz.«

»Du bist zu gut zu mir«, sagte Emily leise.

Das harte Licht der Garagenbeleuchtung verlieh den vereinzelten silbernen Strähnen an Emilys Schläfen einen eigenen Glanz, und der Drang, sie zurückzustreichen, Emilys Erschöpfung mit einer einfachen Geste wegzuwischen, war überwältigend. Sie wussten beide um die heilende Kraft der Berührung durch einen anderen Menschen, wussten, dass eine Umarmung oder das mitfühlende Drücken einer Schulter Wunder wirken konnte. Das Problem war, es dabei zu belassen. Vielleicht weil es mehr brauchte, um dem entgegenzuwirken, was sie im Laufe des Abends gesehen hatten.

Karitas Herz schlug schneller, und ihre Hände wurden feucht. Wie oft waren sie übereingekommen, nicht weiterzugehen. Würden sie diesmal ihrem Vorsatz treu bleiben?

Emily öffnete die Beifahrertür, und was nichts weiter als eine zufällige Berührung ihres Unterarms sein mochte, schickte eine heiße Welle bis in Karitas Zehenspitzen. Sie hatte es nicht auf diese Berührung angelegt, und sie war ziemlich sicher, dass auch Emily sie nicht beabsichtigt hatte, aber sie hatte nicht den leisesten Zweifel, dass sie beide den heißen, atemlosen Kuss, den sie Sekunden später austauschten, auch wirklich meinten.

»Wir müssen damit aufhören«, brachte Emily stöhnend hervor. Eine Hand griff nach Karitas Hüfte, die andere kämpfte mit der Schiebetür des Vans, bis sie sie endlich aufbekam.

Karita kletterte, Emily hinter sich her ziehend, auf die Sitzbank. »Warum sollten wir? Es tut so gut, nach so einer Nacht. Es tut uns beiden gut.«

Wieder stöhnte Emily, als Karita den Saum ihres T-Shirts fand und es hochschob. »Ich bin deine Vorgesetzte.«

»Wärst du, wenn du mich bezahlen würdest.«

»Das macht doch keinen Unterschied – Jesus Maria.« Sie erzitterte, als Karita mit den Nägeln über ihren Rücken fuhr. »Ehrlich, das war nicht meine Absicht, ich wollte nicht …«

»Jetzt hör schon auf, Em«, sagte Karita vor dem nächsten heftigen Kuss. »Wir sind jetzt nicht bei der Arbeit.«

»Nein, wir sind auf dem Rücksitz meines Vans, und ich möchte dich berühren, so dringend …«

»Nur zu«, sagte Karita und öffnete Ems BH, bevor sie den Reißverschluss ihrer eigenen Jeans herunterzog. »Wenn ich das hier geplant hätte, dann hätte ich mir die Beine rasiert.«

Ein Lachen dröhnte in Emilys Brust, und ihre Hand glitt nach unten, um Karita dabei zu helfen, sich aus ihrer Hose zu winden.

»Fass mich an«, hauchte Karita.

»Ja, Baby.«

Sie erbebten gleichzeitig, und Emily erstickte Karitas leisen Schrei mit einem Kuss. Es war so gut, sich zu berühren, es konnte ruhig schnell gehen, grob sein, so wie Emily jetzt in ihr. Rasende Gefühle konnten hinter dem Verlangen verborgen sein, und es war trotzdem heilsam. Karita ergab sich dem Aufwallen ihrer Lust, ließ zu, dass Dinge, die sie kannte, sich wieder auf der Oberfläche ihrer Haut einschrieben. Liebe hatte nichts mit Schmerz zu tun. Frauen konnten wild und stark sein, ohne einander zu verletzen.

Sie wusste, warum Emily so war, denn sie wollte dasselbe, jetzt sofort. Es war unmenschlich, über die aufgeplatzten Lippen und Blutergüsse hinwegzusehen, und was den Frauen, die hier Schutz fanden, angetan worden war, war ebenso unmenschlich. Emily in ihr, ihre Küsse, der Gleichklang ihres Herzschlags – das war menschlich. Verwundbarkeit, deren man sich nicht schämen musste. Intime Nähe, leidenschaftlicher Sex ohne Gewalt. Gemeinsam, denn das war es, was beide wollten, erreichten sie einen Moment, der an Verletzlichkeit grenzte. Karita konnte einen lauten Schrei nicht zurückhalten, und sie spürte mehr als dass sie ihn hörte, Emilys tiefen Seufzer gegenseitigen Einvernehmens.

Emily zitterte und legte sich auf sie, und Karita reagierte mit einem leichten Kreisen des Beckens. »Nimmst du mich mit zu dir?«

Emily lächelte müde, aber ihr Gesicht hatte sich entspannt. »Na ja, die erste Klippe ist umschifft, da können wir auch aufs offene Meer hinaussteuern.«

Karita lachte, als sie in ihre Jeans stieg und sich auf den Beifahrersitz schlängelte. Emily zog ihr T-Shirt herunter, stieg aus und schob schwungvoll die Tür zu. Sie ging um den Wagen herum und tauchte auf der Fahrerseite wieder auf.

Emily wartete, bis die Garagentür sich öffnete, bevor sie den Van startete und rückwärts rausfuhr. Sie warf Karita einen raschen Blick zu und fragte, nicht ganz unerwartet: »Wie kommt es nur, dass ich nicht in dich verliebt bin?«

»Vielleicht bin ich nicht die Frau, die du brauchst.«

»Doch, das bist du. Heute Nacht auf jeden Fall. Du bist genau die Frau, die mir in meinem Leben fehlt.«

Karita schüttelte den Kopf. Manchmal fühlte sie sich älter als Emily, obwohl sie mehr als zehn Jahre jünger war. »Wenn ich die Frau wäre, die du brauchst, dann wärst du in mich verliebt. Aber da auch ich nicht in dich verliebt bin, sind wir quitt auf dem Gebiet.«

»Ich weiß. Willst du dein Auto morgen früh abholen?«

»Ja, in Ordnung.« Sie kannte den Weg zu Emilys Wohnung, nur ein paar Straßen weiter, von den vier, fünf Nächten, die sie bereits miteinander verbracht hatten. Falls Emily aus dem Haus musste, bevor Karita aufwachte, konnte sie ihr Auto zu Fuß abholen. Am Tag war das kein Problem.

Der Van glitt in Emilys Garage, und auf dem Weg ins Schlafzimmer wurden sie ihre Kleidung schnell wieder los. Später, als Emily schon ziemlich schläfrig war und ihre Körper mit dem Bett verschmolzen, sagte sie: »Wenn wir das lassen würden, würden wir uns mit anderen verabreden. Wir würden uns ernsthaft auf die Suche machen. So fördern wir nur gegenseitig unsere Trägheit.«

»Hey«, sagte Karita sanft. »Du bist doch kein Ersatz für irgendwas. Wir wissen beide, warum Lucy nach ihrer Schicht im Frauenhaus immer ins Fitneßstudio geht. Und ich wette, auch Pauline weckt ihren Mann oft auf. Wir brauchen alle einen kleinen Heilzauber. Du und ich finden ihn eben auf diese Art.«

»Ich mache mir Sorgen um dich.« Emilys Lider blieben immer ein wenig länger geschlossen, bis sie sich endlich gar nicht mehr öffneten. »Du bist so lieb und du gibst so viel, so bereitwillig. Ich fürchte, ich nehme zu viel von dir. Deine Zeit und deine Energie und sogar das hier, dabei solltest du mit einer schlafen, die dich liebt.«

»Sei nicht albern. Ich bin doch mit einer im Bett, die mich liebt.« Sie sah zu, wie Emily nach und nach in Schlaf versank.

»Du weißt, was ich meine. Ich habe Angst, dass du eines Tages einen Psycho-Vampir triffst, der dich völlig aussaugt.«

Auch Karita schloss die Augen, als Emilys Atemzüge tief und gleichmäßig wurden. Sie hatte keine Angst vor Vampiren, bösen Feen und dergleichen. Sie flüsterte den kleinen Abwehrzauber, den ihre Großmutter ihr beigebracht hatte, in der Hoffnung, dass er auch Emily helfen möge. Sie respektierte Emily, und sie vertraute ihr.

Eingehüllt in die warmen Arme einer wunderbaren Frau, sollte sie jetzt ruhig und friedvoll einschlafen, stattdessen zerrten ihre Gedanken schmerzhafte Dinge hervor.

Hör auf damit, ermahnte sie sich, aber es war zu spät.

Erinnerungen kamen hoch, sie und Mandy, aneinandergeschmiegt, genau wie jetzt mit Emily. Mandy war schon lange mit einer anderen zusammen. Einer Frau, für die Mandy der Mittelpunkt des Universums war, um den sie kreiste. Eine Frau, die dieses Arrangement perfekt fand, genau wie Karita, bis sie den Fehler gemacht hatte, ihrem eigenen Leben – nur für kurze Zeit – ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenken zu wollen als Mandys.

Du bist keine Elfe, ermahnte sie sich schlaftrunken. Mandys Überzeugungen waren durch keine Magie der Welt zu ändern gewesen. Aber durch Mandy wusste sie, was Liebe war, und sie wusste, dass das, was sie für Emily empfand, nicht diese Art von Liebe war. Ihre Gefühle für Emily waren unkomplizierter, und das war im Moment vielleicht besser so. Emilys Hand glitt auf ihre Hüfte, zog sie näher zu sich heran. Sie hatte alles, was sie brauchte, oder?

3

»Ich wollte gerade Mittag essen gehen. Nate Summerfield unterschreibt den Vertrag für den vierzehnten Stock des Prospector Building.«

Jerry bedachte CJ mit seinem üblichen breiten Grinsen.

»Braves Mädchen! Und ich wette, du hast auch diesen Monat wieder die höchsten Verkaufszahlen.« Sein jungenhafter, sportlich attraktiver Charme machte ihn zu einem guten Verkäufer, aber CJ ging er auf die Nerven. Jerry hatte sich seinen Lebensunterhalt nie sauer verdienen müssen, hatte nie einen sichernden Blick über die Schulter werfen müssen, allenfalls um zu gucken, ob nicht einer seiner alten Kumpel ihm einen Drink spendieren wollte. Er war schon mit Beziehungen zur Welt gekommen, und die warfen jeden Tag Zinsen ab. Sie hatte von Anfang an gedacht, dass er im Clan, wo Beziehungen und Herkunft mehr schadeten als nützten, niemals überlebt hätte.

»Man tut, was man kann, Jerry.« CJ merkte, wie kurzangebunden das klang. Sie zog ihren Blazer an und suchte umständlich Aktenmappe und Handtasche zusammen. Die unerwünschten Gedanken an den Clan schlugen ihr auf die Stimmung. Ihr war klar, dass Jerry hoffte, sie werde ihn zum Lunch einladen, aber sie dachte gar nicht daran. Es war keine gute Idee, sich anderen Leuten zum Geschäftsessen aufzudrängen – Jerrys eigene Worte! –, aber er war ein berüchtigter Schnorrer. Sie wollte nicht die Ausnahme von seiner Regel sein, heute nicht. Der Vertrag, der kurz vor der Unterzeichnung stand, war viel zu wichtig – da konnte sie keine Einmischung gebrauchen. »Ich muss los, Chef.«

Auf dem Weg vom Büro zum Aufzug machte sie einen kleinen Umweg über Juliyas winziges Büro. »Der runde Tisch in der Altstadt war unergiebig«, berichtete sie. »Aber ich habe ein paar Visitenkarten möglicher Kunden mitgenommen. Keiner schien mir besonders aussichtsreich, aber man kann nie wissen.«

»Danke, CJ. Das ist wirklich nett von dir.« Juliya strahlte, ihr kleines Koboldgesicht leuchtete vor Begeisterung.

CJ befasste sich nicht mit kleinen Pachtverträgen, also brach sie sich keinen Zacken aus der Krone, wenn sie diese Kontakte weitergab. »Ich habe ihnen auch gesagt, dass ich eine Kollegin habe, die sich besser in ihrem Viertel auskennt als ich, und deinen Namen ins Spiel gebracht.«

Juliya sprang auf, um CJ zu umarmen, und CJ tat ihr Bestes, sich nicht zu versteifen. »Auch wenn sie kein Angebot bei mir einholen – vielen, vielen Dank.«

»De nada.« Sie klopfte Juliya unbeholfen auf den Rücken. »Ich bin dann zum Mittagessen.«

»Der Summerfield-Vertrag? Viel Glück.«

»Den hab ich schon in der Tasche. Trotzdem danke.«

Ihr Pech: Jerry stand schon am Aufzug, als sie dort ankam, und er sah immer noch hungrig aus. Ihr fiel absolut kein Smalltalk ein, der Jerry davon abhalten würde, sich bei ihr zum Mittagessen einzuschleimen. Zum Glück bot Burnett, der Benjamin der Firma, eine willkommene Ablenkung. Da er neu in der Abteilung war, hatte er das Kabuff direkt neben dem Aufzug, und das bot so gut wie keine Privatsphäre.