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FRAUEN IM SINN

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Verlag Krug & Schadenberg

Literatur deutschsprachiger und internationaler
Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,
historische Romane, Erzählungen)

Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen
rund um das lesbische Leben

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Nancy Toder

Die Wahl des Glücks

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia E. Kähler

K+S digital

Inhalt

TEIL I

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

TEIL II

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Die Autorin

Impressum

Dieses Buch ist all den mutigen Frauen gewidmet, die sich in ihrer Liebe zu Frauen gegen so vieles zur Wehr gesetzt haben, und den Frauen, die – aus welchen Gründen auch immer – diese Bindung nicht eingehen oder leben konnten. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass unsere Töchter mehr Wahlmöglichkeiten haben.

Auf meiner persönlichen Reise widme ich dieses Buch Alice Bloch, deren Stärke und Unterstützung mir halfen, meinen Mut wiederzufinden, und die mich in meinem persönlichen Kampf und Wachstum so liebevoll begleitete.

Besonderer Dank gilt Andrea Nachtigall, Jan Oxenberg, Marcy Alancraig, Florence Toder, Emanuel Toder und Connie Katzenstein, deren Glaube an dieses Projekt mich weitermachen ließ, sowie Pat McGloin, Deborah Snow und Gloria Z. Greenfield, die mit Persephone einen Verlag aufgebaut haben, den ich von ganzem Herzen unterstütze.

TEIL I

1

Der Lärm der Flugzeuge war tröstlich für Sandy. Je lauter die Triebwerke, desto weniger wahrscheinlich war es, dass ihre Mutter versuchen würde, Konversation mit ihr zu machen. Sandy beobachtete einen Flieger, der in den Hangar rollte. Sie liebte Flughäfen; sie bedeuteten Entkommen und Freiheit.

Ihre Mutter hasste Flughäfen aus einem entsprechenden Grund: Sie bedeuteten Fahnenflucht und Einsamkeit. Esther war etwas kleiner als Sandy, doch ebenso wie Sandy wirkte sie größer, als sie war. Ihre Kleidung war nicht teuer, aber geschmackvoll: schwarzer Rock, weiße Bluse, dunkelrote Strickjacke, eine alte Handtasche aus Sandys High-School-Zeit – Sandy sagte ihr oft, sie solle sie doch endlich wegwerfen – und ein Paar bequeme Pumps. Ihr Haar war unordentlich, wie immer. Daran ließ sich nichts ändern, also hatte sie zum Ausgleich an diesem Morgen etwas Lippenstift aufgelegt.

Sandys Vater hasste Flughäfen ebenfalls, allerdings aus einem völlig anderen Grund: Sie vermittelten ihm das Gefühl, klein und hilflos zu sein. Klein, weil der ohrenbetäubende Lärm und die riesigen Flugzeuge aus der Welt mächtiger Männer kamen, einer Welt, der Sid sich nie zugehörig gefühlt hatte. Hilflos, weil er nicht wusste, wie er sich von seiner Tochter, die ihm so fremd geworden war, verabschieden sollte, und vor allem weil er nicht wusste, wie er mit der Traurigkeit seiner Frau umgehen sollte, wenn sie nach Hause kämen. Je näher der Zeitpunkt von Sandys Abreise gekommen war, desto stiller war Esther geworden; sie starrte häufig ins Leere und begann immer wieder ohne ersichtlichen Anlass zu weinen. Sid hatte in seinem Leben erfahren, wie es war, sich hilflos zu fühlen, und dies hatte ihn weicher als andere Männer gemacht. Aber er hatte sich nie daran gewöhnt, und es frustrierte ihn jedes Mal aufs Neue. Sid war so groß wie Sandy (obwohl Sandy größer wirkte, seit sie begonnen hatte, ihr Haar zu stylen), von mittlerer Statur, mit leichtem Ansatz zur Glatze, und hatte früher einmal gut ausgesehen. Die Jahre harter Arbeit hatten ihren Tribut gefordert; er war ein sehr nervöser Mann, und in seinem Gesicht zeigten sich die Falten fortwährender Besorgnis.

Esther schaute ihre Tochter an und seufzte insgeheim. Schwarze Lederjacke, kurzer schwarzer Rock, schwarze Strümpfe und spitze schwarze Schuhe. Sandy sah aus, als sei sie auf dem Weg zu einer Beerdigung. Nein, das war es nicht; ihre Tochter sah aus wie eine Rockerbraut. Das gestylte Haar, das Make-up und das ständige Kaugummikauen (bei dem Sandy niemals den Mund schloss, ganz gleich wie oft Esther sie darauf hinwies) gaben diesem sorgsam gepflegten Image den letzten Touch. Esther stellte sich vor, wie eine Fremde ihre Tochter sehen würde. Ein hartgesottener New Yorker Teenie. Eine Siebzehnjährige, die als Fünfunddreißigjährige durchgehen mochte. Woher sollten Menschen, die sie nicht kannten, wissen, dass unter dem Kampfanzug eine ungewöhnlich brillante und sensible junge Frau steckte? Eine junge Frau, die eines Tages Großartiges leisten würde. Eines Tages.

Sandy wünschte, ihre Mutter würde aufhören, sie anzusehen. Esther hatte diesen wehmütigen Gesichtsausdruck, bei dem Sandy sich immer besonders unbehaglich fühlte. Die drei warteten seit etwa einer Viertelstunde am Gate. Um sie herum standen weitere Collegeschülerinnen und ihre Eltern, schweigend und in verschiedenen Stadien der Verlegenheit. Sandy wünschte, ihre Eltern würden gehen.

»Ihr müsst hier nicht länger herumstehen.«

»Ach, das macht uns nichts aus, nicht wahr, Sid?« Esther machte sich nicht die Mühe, ihren Mann anzublicken, um seine Antwort zu erfahren. »Ich sehe dich doch für lange Zeit zum letzten Mal.«

Sandy war genervt. Warum machte ihre Mutter immer um alles so viel Wind? »Scheiße, Mom. Ich werde doch zu Thanksgiving nach Hause kommen. Es ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass ich fortgehe.« Kaum hatte Sandy den letzten Satz ausgesprochen, tat er ihr leid. Ihre Mutter erblasste, und ihr Vater schien sich noch unbehaglicher zu fühlen. Warum konnte sie nicht den Mund halten? Es schien gerade so, als sprudelten die Worte ohne ihr Zutun aus ihr heraus. Sandy fühlte sich schuldig. Hatte sie ihren Eltern nicht schon genug wehgetan?

Esther ignorierte diese Anspielung auf Sandys Verschwinden im letzten Jahr, als sie fortgelaufen und sechs Monate lang untergetaucht war. Sechs schreckliche, angsterfüllte Monate, in denen Esther und Sid jedes Gespräch mit Sandy durchgegangen waren, jede Erinnerung an ihre Kindheit, jede mögliche Erklärung dafür, dass ihre Tochter die High-School abgebrochen hatte und durchgebrannt war. Gott sei Dank gehörte dies alles der Vergangenheit an.

»Nein, aber dies ist das erste Mal, dass meine Kleine zum College aufbricht. Und das erste Mal, dass du fliegst. Und Sandy, du weißt doch, ich mag es nicht, wenn du solche Ausdrücke gebrauchst. Deine Freundinnen mögen das für schick halten, aber es gehört sich nicht für eine junge Dame.«

Sandy kaute gelangweilt auf ihrem Kaugummi herum. Sie hatte diese Predigt schon tausendmal gehört. Ihre Antwort war ebenso vorprogrammiert wie Esthers Vorhaltungen. »Es ist nicht das erste Mal, Mom – ich bin einmal nach Washington geflogen. Und ich weiß, dass eine junge Dame zu deiner Zeit nicht Scheiße gesagt hat oder Ficken oder Bumsen oder …«

Esther unterbrach sie. »Sandy!«

Doch Sandy hatte ihre Klugscheißer-Platte aufgelegt. »Ich wollte nur was klarstellen, Mom. Die Zeiten haben sich geändert.«

»Nun, mir gefallen die Veränderungen, die ihr jungen Leute durchlauft, jedenfalls nicht.« Esther musste das letzte Wort behalten, aber sie wusste, dass sie geschlagen war. Es gab nichts, was sie tun konnte. Sandy konnte reden, wie sie wollte, und anziehen, was sie wollte, und nun würde niemand mehr da sein, der ihr Ratschläge gab. Niemand, der sie nervte, wie Sandy sagen würde. Esther erinnerte sich, welch ein außergewöhnliches Kind Sandy gewesen war – so intelligent und eifrig und aufrichtig, so anteilnehmend und lieb. Wie konnte ein solches Wunder von einem Kind sich in einen so zornigen, mürrischen Teenager verwandeln? Der Psychiater hatte gesagt, es sei einfach eine Phase, die Sandy durchlaufe, ganz normale Teenagerkonflikte und -probleme, nur tausendfach verstärkt. Esther hatte nie darüber nachgedacht, aber sie fragte sich, ob er wirklich tausendfach gemeint hatte. Nein, er musste wohl übertrieben haben.

Sid wanderte auf und ab und schaute nervös um sich. Er war zur anderen Seite des Warteraums gegangen, so dass Mutter und Tochter Gelegenheit hatten, unter vier Augen miteinander zu reden. Allein zu sein. Es war seltsam, wie ihn das noch immer verletzte – ausgeschlossen zu werden. Er warf den beiden einen raschen Blick zu. Sie sahen aus wie ganz gewöhnliche Leute. Und doch waren sie ihm so wichtig. Es war nicht fair. Aber schließlich war nichts im Leben fair. Er ging zu ihnen hinüber.

»Wir sollten gehen, Esther. Wir werden einen Strafzettel bekommen. Ich hab ja gesagt, wir sollen da nicht parken – der Platz ist für das Flugpersonal reserviert.«

»Sid, es sind doch nur ein paar Minuten. Kein Grund zur Sorge.« Esther klang leicht verärgert. Sie war seine ewige Besorgnis leid.

Sandy erkannte ihre Chance. »Dad hat recht, Mom. Es ist unsinnig, einen Strafzettel zu riskieren. Außerdem gibt es hier nichts mehr für dich zu tun. Lass uns jetzt auf Wiedersehen sagen.« Esther schaute von ihrer Tochter zu ihrem Mann, der mit dem Kopf in Richtung Ausgang wies. Sie konnte nichts machen; Sandy und Sid verbündeten sich selten, aber wenn, war es ein starkes Bündnis.

Sid trat auf Sandy zu. »Pass auf dich auf, Sandy.« Er umarmte sie unbeholfen und ging rasch davon.

»Das werde ich, Dad!«, rief sie ihm nach.

Esther hatte Tränen in den Augen. »Wirst du uns schreiben?«

Sandy hasste es, wenn ihre Mutter weinte. Sie verspürte eine zunehmende Übelkeit. »Ich kann’s dir nicht versprechen, Mom. Du weißt doch, wie ich bin. Aber wir telefonieren. Okay?« Sandy fürchtete, sich übergeben zu müssen.

Esther wischte sich verstohlen die Tränen aus den Augen. Sie hasste es zu weinen, besonders in Gegenwart von Sandy. »Denk daran, dass dein Vater und ich dich lieben.« Esther betete, Sandy möge dies begreifen und es möge ihr gutgehen. Was sonst konnte sie ihr mit auf den Weg geben?

Sandy hörte nur halb hin. Diese Art von Intimität war ihr schlichtweg peinlich, Punkt. Vor allem auf einem Flughafen. Wenn das nun jemand mitangehört hatte? Sandy schaute sich rasch um, aber niemand schien sie zu beachten. Die Leute würden denken, sie wäre ein Baby. Sie musste dem Ganzen schnellstens ein Ende bereiten.

»Ja, ich weiß, Mom.«

Zu Sandys großer Erleichterung hatte ihre Mutter nichts weiter zu sagen. Sie umarmte Sandy und ging dann rasch davon zu ihrem Mann. Sandy seufzte erlöst auf. Dann wandte sie sich um und betrachtete die anderen Leute im Warteraum. Die Mütter und Väter machten alle ein Getue um ihre Kinder. Scheußlich, dachte Sandy. Die reinsten Babys.

Sie ging zum Fenster hinüber und starrte hinaus. Als ein Flugzeug beim Landen schlingerte, lächelte sie vor sich hin. Das vorherige Unbehagen war rasch verflogen; sie hatte ihre Eltern und all diese beklemmenden Gefühle, die sie in ihrer Gegenwart empfand, vergessen, sobald sie außer Sicht waren. Nun würde sie niemand mehr nerven.

2

Aus dem Fenster zu schauen war eine von Sandys Lieblingsbeschäftigungen. Auf diese Weise blieb sie unsichtbar und konnte doch alles beobachten, was um sie herum vorging. Das war ideal, denn sie unterhielt sich nicht gern. Eigentlich wusste sie bloß nicht, wie sie mit fremden Menschen reden sollte, aber aus Stolz beschrieb sie sich lieber als »eine, die nicht viel vom Reden hält«. So konnte sie vorgeben, mit dem Stand der Dinge vollauf zufrieden zu sein.

Die Zeit auf der High-School war schwierig für Sandy gewesen. Sie hasste die Lehrerinnen, hasste ihre Mitschülerinnen, und am meisten hasste sie ihre Schule. Es war die Idee ihrer Mutter gewesen, dass Sandy die Aufnahmeprüfung an einer Spezialschule für besonders begabte Schülerinnen machen sollte. (Eigentlich gab es drei Spezialschulen in New York, aber nur eine von ihnen nahm Mädchen auf.) Sandy hatte sich spaßeshalber darauf eingelassen; sie hätte niemals gedacht, dass sie die Prüfung bestehen würde. Aber sie war angenommen worden – und dann folgten drei lange Jahre mit diesen arschkriecherischen Wichten. Sandy bekam ständig Ärger, weil sie plump-vertraulichen Lehrern patzige Abfuhren erteilte, auf der Toilette rauchte, die Schule schwänzte und andere typische Teenagerstreiche beging. Aber an der Bronx Science tat man so etwas einfach nicht, und ein Mädchen schon gar nicht.

Die schlimmste Zeit war die Mittagspause in der Cafeteria. Sandy saß mit einer Gruppe von Mädchen aus ihrer Klasse zusammen. Sie redeten über die Schule, Jungen, Kleider und andere Themen, die Sandy banal fand. Sie beteiligte sich nie an diesen Gesprächen; sie antwortete mit ja oder nein, wenn eines der Mädchen in dem Bemühen, sie einzubeziehen, eine Frage an sie richtete. Aber Sandy fühlte sich nie zugehörig und fand diese Pausen grässlich – denn so sehr sie sich auch sagte, sie sei reifer als die anderen Mädchen und wolle eigentlich gar nicht in deren geistloses Geschwätz einbezogen werden, wollte ein Teil von ihr dennoch dazugehören.

»Entschuldigung, ist hier besetzt?« Ein sonderbar aussehendes Mädchen wies auf den Sitz neben Sandy. Sie hatte ein breites Lächeln und strahlte eine nervöse Energie aus, wie sie ihren Tennisschläger mit einer Hand schwang und in der anderen eine große Reisetasche trug. Sie hatte einen Pullover und farblich passende Kniestrümpfe zu einem schlichten Rock und Turnschuhen an.

Sandy schüttelte den Kopf und schaute wieder aus dem Fenster.

»Hast du etwas dagegen, wenn ich mich hier hinsetze?«

Sandy wandte sich um und betrachtete sie genauer. Sie entschied, das Mädchen sei eindeutig verrückt, und wünschte, sie würde verschwinden, aber was sollte sie sagen? Der Platz war nicht besetzt. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich wieder ab, um aus dem Fenster zu schauen.

»O toll!« Das Mädchen schien Sandys Unfreundlichkeit nicht wahrzunehmen. Voller Enthusiasmus legte sie den Schläger auf den Sitz. Sandy fragte sich, ob sie die Fähigkeit verloren hatte, die richtigen Signale zu geben. Hatte sie das Mädchen nicht mit einem ihrer bösen Stör-mich-nicht-Blicke angefunkelt? Während Sandy sich Gedanken machte, wo ihre abweisende Ausstrahlung abgeblieben war, unterbrach das Mädchen sie zum dritten Mal.

»Spielst du?«

Sandy drehte sich um und sah sie wieder an. »Was?«

»Tennis?«

Sandy hörte sich die Frage gegen ihren Willen beantworten. »Eigentlich nicht. Ich habe einen Schläger, aber dort, wo wir wohnen, gibt es keine Tennisplätze. Aber ich habe immer gegen die Garage des Wohnblocks gespielt. Squash.«

»Oh.« Das Mädchen ließ sich von Sandys Antwort keineswegs abschrecken. Sie war wirklich etwas merkwürdig. »Ich heiße Bernice Bernstein. Meine Freundinnen nennen mich Bunny.«

»Sandy Stein.« Sandy begann Bunny irgendwie zu mögen. Sie hatte etwas Liebenswürdiges an sich.

»Schön, dich kennenzulernen. Oh, ich bin so aufgeregt, ich halte es kaum aus. Dies ist das erste Mal, dass ich fliege. Bist du schon mal geflogen?«

Sandy schlüpfte in die Rolle der coolen, abgeklärten Älteren, obwohl sie etwa gleichaltrig waren. »Natürlich. Schon oft.« Zu ihrem Erstaunen hatte Sandy zunehmend das Gefühl, Bunny beschützen zu wollen.

»Oh, ich bin froh, dass ich mich neben dich gesetzt habe. Du wirkst so ruhig und gelassen, als wüsstest du, was du zu erwarten hast. Ich bin zum ersten Mal von zu Hause fort. Na, eigentlich nicht – ich war natürlich im Ferienlager. Aber das zählt nicht. Dies hier ist etwas anderes. Jetzt gehe ich aufs College. In Buffalo. Da gibt es eine staatliche Universität.« Bunny hielt inne, um Luft zu holen.

»Ich weiß«, erwiderte Sandy, amüsiert von Bunnys atemlosem Geplapper. Mit Bunny zu reden war einfach. Ihre Aufregung war fast ansteckend. Sandy rief sich in Erinnerung, dass sie ja cool war.

»Oh. Gehst du zufällig auch aufs College?«

»Ja.«

»Oh, wie toll. Was für ein Glück, dass ich mich neben dich gesetzt habe. Vielleicht können wir zusammen hinfahren.«

»Klar. Wenn wir noch andere Studentinnen treffen, können wir uns ein Taxi teilen. In welchem Wohnheim bist du?«

»Goodyear. Und du?«

»Volltreffer.« Sandy fragte sich, ob alle ihre Kommilitoninnen wie Bunny sein würden. Sie versuchte sich ein Wohnheim voller fröhlich schwatzender Mädchen vorzustellen. Es gelang ihr nicht.

»Oh, wir sind im selben Wohnheim. Wie aufregend. Meine erste Freundin.« Bunny lächelte Sandy herzlich an.

Sandy war noch nie jemandem wie Bunny begegnet. Sie war wirklich drollig. »Woher kommst du denn?«

»Woodmere.« Sandy kannte den Ort nicht. »Eine der fünf Städte.« Es sagte Sandy immer noch nichts. »Das ist auf Long Island.«

»Oh, Long Island.« Das erklärte, warum Bunny sich so sonderbar benahm. Es war allgemein bekannt, dass die Leute auf Long Island anders waren. Sie waren alle reich. Vermutlich besaß ihre Familie sogar ein eigenes Haus.

»Woher kommst du, Sandy?« Bunny blickte sie neugierig an.

»Aus der Bronx«, sagte Sandy stolz, aber ein wenig defensiv. Sandy schaute aus dem Fenster, als die Stimme der Stewardess über die Sprechanlage ertönte. Als die Triebwerke starteten und das Flugzeug zu rollen begann, wurde Bunny unruhig. Sandy war zu sehr mit der sich verändernden Aussicht beschäftigt, um Bunny weiter zu beachten. Sie war wieder in San Francisco und lief mitten in der Nacht durch die Straßen. Der leichte Nieselregen lieferte ihr einen Vorwand, den Kragen ihres Trenchcoats aufzustellen. Sandy schaute sich mit dem bis zu den Ohren hochgeschlagenen Kragen des Trenchcoats gern im Spiegel an. Es gab ihr ein Gefühl von Abgebrühtheit. Sie ließ eine Zigarette aus dem Mundwinkel hängen wie Bogart. Oder Bacall. Der Rauch stieg ihr ins Gesicht, aber Sandy hatte sorgfältig geübt, die Zigarette so zu halten, dass er ihr nicht in die Augen geriet. Es hatte Stunden vor dem Badezimmerspiegel gekostet; wenn jemand rief, sie solle endlich vom Klo kommen, spülte sie die Zigarette in der Toilette hinunter. Aber diese Zeiten des Versteckspiels waren vorbei. Sandy war jetzt ein eigenständiger Mensch. Erwachsen.

»Hättest du etwas dagegen, wenn ich deine Hand halte?« Bunnys Stimme holte Sandy aus ihrem Tagtraum.

»Was?«

»Ich sagte, hättest du etwas dagegen, wenn ich deine Hand halten würde? Ich weiß, das klingt vielleicht albern. Aber ich habe Angst, und es würde helfen, wenn ich deine Hand hielte.«

»Na ja … klar.« Sandy zögerte einen Moment, kam dann aber zu dem Schluss, dass sie sich nicht zu schämen brauchte. Es war schließlich nicht sie, die Angst hatte. Sie versuchte, Bunny zu beruhigen. »Keine Angst, Fliegen ist nicht schlimm. Du spürst überhaupt nichts.«

Bunny lächelte dankbar und ergriff Sandys Hand, als das Flugzeug beschleunigte und abhob. Sandy wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Fenster zu. Sie vergaß Bunny und ihre Hand. Alles, was sie sah, war die entschwindende Stadt.

3

Das Zimmer im Wohnheim war wie eine Gefängniszelle. Der begehbare Kleiderschrank auf der rechten Seite vermittelte ein größeres Gefühl von Raum als das übrige Zimmer mit seinen grauen Ziegelwänden. Rechts standen ein Einzelbett und eine Kommode, links ein Etagenbett mit Metallgestell und eine weitere Kommode. Die dritte Wand, gegenüber der Tür, hatte Fenster, die auf den Campus hinausgingen. Vor diese Wand waren zwei Schreibtische gezwängt worden.

Sandy ging auf und ab und rauchte wütend. Sie war immer noch peinlich berührt, dass sie sich im Flugzeug übergeben hatte. Bunny hatte sich offenbar nichts dabei gedacht, aber Sandy fand, sie habe ihr Gesicht verloren. Sie versuchte, die anderen beiden Mädchen im Zimmer nicht zu beachten, aber sie waren auf Schritt und Tritt in ihrem Blickfeld. Sandy war nie in einem Ferienlager gewesen. Nichts in ihrem Leben hatte sie auf ein so intimes Zusammenleben mit zwei vollkommen fremden Menschen vorbereitet. Sie fühlte sich elend. Warum hatte sie sich nur von ihrer Mutter überreden lassen, es mit dem College zu versuchen? Sie wusste schon jetzt, dass sie es nicht mögen würde.

Jenny hatte ihr Haar auf große Lockenwickler gedreht und feilte sich die Nägel. Die ganze Woche hatte sie sich auf diesen Abend gefreut. Ihr erster Tag fern von zu Hause. Das College. Der Beginn eines geheimnisvollen Abenteuers, eines Lebens voller aufregender Erlebnisse. Jenny hungerte nach Erfahrungen. Sie wollte alles mindestens ein Mal ausprobieren. Vielleicht sogar zwei Mal. Sie hatte geduldig den rechten Augenblick abgewartet. Ihre Eltern waren streng mit ihr gewesen: Sie hatten ihre Ausgehzeit strikt begrenzt, Freundinnen wie Freunde auf ihre Erwünschtheit überprüft und auf guten Noten bestanden. Solange sie bei ihren Eltern lebte, hatte Jenny ihre Regeln gewöhnlich befolgt. Die wenigen Male, die sie die Regeln heimlich übertrat, hatte sie große Schuldgefühle empfunden; aber nun war sie auf sich selbst gestellt, und die Regeln ihrer Eltern galten nicht mehr. Sie hatte lange auf diesen Tag gewartet, und nun war er da. Aber er entwickelte sich zu einer großen Enttäuschung.

Jenny musterte ihre Zimmergenossinnen. Mary saß oben auf dem Etagenbett und schrieb einen Brief. Sie hatte sich freiwillig bereiterklärt, dieses Bett zu nehmen. Sandy und Jenny hatten eine Münze geworfen, um zu entscheiden, wer das Einzelbett bekam. Zum Glück hatte Jenny gewonnen. Mary trug einen langen pinkfarbenen Morgenmantel. Sie hatte glattes blondes Haar und eine spitze getüpfelte Brille. Jenny fand ihre »Mädchen vom Lande«-Ausstrahlung gar nicht mal unattraktiv. Mary schien in Ordnung, nicht gerade ihre erste Wahl als Zimmergenossin, aber verglichen mit Sandy war sie geradezu ein Juwel.

Jenny beobachtete, wie Sandy auf und ab ging. Sie befürchtete ernstlich, Sandy sei verrückt. Sie waren erst wenige Stunden zusammen, und Sandy begann ihr bereits auf die Nerven zu gehen. Sie erinnerte Jenny an eine Löwin im Käfig, voller Groll über die Gefangenschaft und ständig auf der Lauer, um keine Gelegenheit zur Flucht zu verpassen. Jenny war von den Raubkatzen im Zoo immer fasziniert gewesen. Sie fand ihre Ruhelosigkeit und ihre Fähigkeit zu plötzlicher Wildheit aufregend. Aber Sandy war keine Raubkatze, und dies war nicht der Zoo. Jenny begann auf einem eingerissenen Nagel herumzubeißen, ertappte sich dann und fing wieder an zu feilen.

»Wanderst du immer so im Zimmer rum?« Jenny konnte sich nicht länger beherrschen.

Sandy hielt einen Moment inne und schaute sie an. »Ja.« Sie ging weiter auf und ab und versuchte die anderen beiden so gut sie konnte zu ignorieren.

Mensch, hatte sie ein Glück! Mary kam offenbar direkt vom Bauernhof. Doch zumindest war sie still. Sie hatte eine zurückhaltende, sachliche Art, die Sandy mochte. Sie war zu ertragen. Aber Jenny! In ihrem rosa Babydoll sah sie aus wie ein Püppchen. Ein Fließbandprodukt, das sich verselbständigt hatte – das lange dunkle Haar auf dicke, hässliche Lockenwickler gedreht, von einem rosa Haarnetz zusammengehalten. Und diese Nase! Wer hatte jemals eine Babypuppe mit einer langen, schmalen jüdischen Nase gesehen? Sie sah lächerlich aus. Wenn sie ein T-Shirt wie Sandy trüge und ihr Haar löste, würde sie nicht schlecht aussehen. Sie hatte wundervolles Haar, es war dick und glatt und glänzend. Das genaue Gegenteil von Sandys Haar. Und sie hatte ein interessantes Gesicht. Nicht hübsch wie Bunnys, aber auf eine ungewöhnliche Weise attraktiv. Sandy schüttelte den Kopf und beschleunigte ihren Schritt. Jenny hatte etwas an sich, das ihr Unbehagen bereitete.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie uns zu dritt in so einen winzigen Raum pferchen«, sagte Jenny. Die Stille ging ihr auf die Nerven, und selbst Lamentieren schien besser als gar keine Unterhaltung.

»Ich hatte um ein Einzelzimmer gebeten«, beschwerte sich Sandy. »Ich weiß nicht, warum sie sich die Mühe gemacht haben, uns überhaupt nach unseren Wünschen zu fragen.«

»Und ich hatte um ein Nichtraucherzimmer gebeten«, sagte Mary sanft, als Jenny sich eine Zigarette anzündete.

»Nun, wir können morgen mit der Wohnheimleiterin sprechen. Vielleicht liegt da ein Irrtum vor.« Es muss einen Ausweg geben, dachte Jenny. Niemand konnte von drei so unterschiedlichen jungen Frauen erwarten, in einem Raum zusammenzuleben, der kaum groß genug für zwei war.

»Das ist Zeitverschwendung.« Sandys Stimme riss Jenny aus ihren Gedanken. »Das ist denen völlig egal.«

Jenny fühlte sich unbehaglich, war aber von Sandys schroffer, sarkastischer Art fasziniert. Sie war so anders als alle Mädchen, denen Jenny jemals begegnet war.

Jenny wandte sich an Mary, die sich eher für eine gemäßigte Konversation anbot. »Du bist doch gerade erst angekommen. Wem schreibst du denn schon?«

Mary schrieb weiter, ohne aufzublicken. »Meinem Freund«, erwiderte sie.

»Oh. Geht ihr schon lange miteinander?« Plötzlich war Jenny an Mary interessiert. Sie hörte andere Mädchen immer gern von ihren Freunden erzählen. Sie hatte in der High-School viele Verabredungen gehabt, doch die Jungen, die mit ihr ausgingen, waren – obschon ganz nett – selten die beliebtesten gewesen, und Jenny war heimlich in den Kapitän des Basketballteams und einen der Spitzenspieler der Tennismannschaft verknallt gewesen. Sie hatte beobachtet, wie sie mit den Cheerleadern und den beliebteren Mädchen flirteten, und einen Weg zu finden versucht, diesen Jungen näherzukommen, aber es war ihr nichts Gescheites eingefallen. Sie hatte gesehen, wie andere Mädchen sich lächerlich machten, indem sie den Jungen nachliefen, und in diese Lage hatte sie sich nicht bringen wollen. Also hatte sie sich mit den Jungen, die sie darum baten, verabredet, war mit einigen wenigen eine Weile zusammen gewesen, hatte sich aber gefühlsmäßig auf keinen von ihnen besonders eingelassen.

Nun hörte Jenny Mary zu und wunderte sich, wie sachlich Mary über ihren Verlobten sprach. Über ihre Heiratspläne, wenn er seinen Abschluss gemacht haben würde und sie in eine Krankenpflegeschule in seiner Nähe wechseln könnte. Jenny versuchte sich vorzustellen, wie es wohl wäre, die eigene Zukunft zu kennen. Sie hatte keine Ahnung, welches Hauptfach sie wählen sollte, geschweige denn, mit welchem Mann sie den Rest ihres Lebens verbringen würde. Das alles schien in sehr weiter Ferne zu liegen.

Wenn Jenny sich den Mann vorstellte, den sie heiraten würde (und daran, dass sie eine Tages heiraten würde, kamen ihr niemals Zweifel), hatte sie ihn als groß, dunkel und gutaussehend vor Augen. Ein jüdischer Mann, der aussah wie ein Italiener. Ihre Eltern hatten sie nie mit Christen ausgehen lassen, weil sie fürchteten, sie könnte einen heiraten wollen. Jenny hatte erklärt, sie sei erst vierzehn und habe noch keine Lust, überhaupt jemanden zu heiraten, aber ihre Eltern beharrten darauf, dass sie sich womöglich an gojim gewöhnen würde, wenn sie mit ihnen ausginge. Und wenn sie sich an sie gewöhnte, würde sie schließlich noch einen heiraten. Es war nicht möglich, mit ihren Eltern logisch zu argumentieren, also hatte Jenny den Jungen, mit denen sie gern ausgegangen wäre, gesagt, sie sei beschäftigt, bis sie nicht mehr anriefen.

Jenny nahm die Regeln, die ihre Eltern aufstellten, gelassen hin. Sie wusste, dass die meisten ihrer Regeln keinen Sinn ergaben, aber es schien den Kampf nicht wert zu sein. Wenn sie versuchte, einen bestimmten Punkt mit ihnen zu diskutieren – wie damals, als sie gegen ihre Sperrstunde aufbegehrte, die eine Stunde früher war als bei den meisten ihrer Freundinnen –, wurde ihre Mutter hysterisch und ihr Vater fuchsteufelswild, und der Haussegen hing tagelang schief. Und an ihrer Sperrstunde änderte sich nichts.

Ihre Eltern sagten ihr oft, es sei wichtig, dass ihr Ehemann sie gut versorgen könne. Das schien Jenny nicht so entscheidend – sie ging einfach davon aus, dass sie immer ein materiell abgesichertes Leben führen würde. Außerdem wollte sie selbst einen Beruf ergreifen und rechnete damit, eines Tages ebenfalls gutes Geld nach Hause zu bringen. Der Mann, den sie heiraten würde, müsste aufregend sein. Sie würden durch die ganze Welt reisen, in exotischen Restaurants essen und fremde Kulturen kennenlernen. Wenn sie bei ihm wäre, würde Jenny sich vor nichts fürchten müssen. Er würde sie vor anderen Männern beschützen. Jenny wusste, dass eine Frau allein nicht ungehindert reisen konnte, zumindest in einigen Teilen der Welt nicht. Aber wenn sie verheiratet wäre, würde niemand sie behelligen. Die Männer würden wissen, dass sie vergeben war. Jenny hatte dies immer schon grässlich gefunden, nahm es aber als gegeben hin. Es hatte keinen Sinn, sich über Regeln aufzuregen; man brach sie, wenn möglich, und befolgte sie, wenn nötig.

Sandy ging weiter auf und ab und störte den Blickkontakt zwischen Jenny und Mary. Sie versuchte, nicht auf ihre Unterhaltung zu hören, aber die Worte fanden beharrlich den Weg in ihre widerstrebenden Ohren. Jungen, Jungen, Jungen. Sie waren erst wenige Stunden in diesem Raum, und schon hatten sie das Thema Nummer Eins gefunden. Die universelle Gemeinsamkeit aller weiblichen Teenager. Außer Sandy. Irgendwas stimmte vermutlich nicht mit ihr. Sie war nie in Elvis Presley verknallt gewesen, obwohl alle anderen Mädchen verrückt nach ihm waren. Sie waren ihr immer irgendwie albern erschienen. Aber Ann Southern oder Gale Storm – ja, das waren Stars, bei denen der coolen Sandy weich ums Herz wurde.

Jenny war mit ihren Nägeln fertig und gähnte laut. »Ich geh langsam mal ins Bett«, sagte sie. Mary klappte ihren Schreibblock zu und schlüpfte unter die Bettdecke.

»Ich bin noch nicht müde, aber du kannst das Licht ausmachen«, sagte Sandy. Sie war erleichtert, dass die anderen beiden schlafen gingen. Nun würde sie nachdenken können, ohne ständig von deren Gegenwart gestört zu werden. Sandy ging weiter die schmale Gasse zwischen den Betten auf und ab. Ihre Zigarette glühte im Dunkeln, ein orangeroter Fleck, der ihre Bewegungen begleitete.

Jenny lag im Bett und sagte sich, sie solle sich umdrehen und dieses herumgeisternde orangefarbene Licht vergessen. Sie lag mit dem Gesicht zur Wand, aber dennoch spürte sie, wie Sandy und ihre Zigarette sich hin und her bewegten. Jenny rief sich in Erinnerung, dass dies ihre erste gemeinsame Nacht war und sie gute Miene zum bösen Spiel machen sollte. Aber sie war nicht gerade freundlich gestimmt.

»He, ich kann nicht einschlafen, wenn du dauernd hin und her gehst. Es macht mich nervös. Willst du dich nicht hinlegen?«

Sandy und ihr orangeroter Punkt hielten für einen Moment inne. Ihre Stimme kam überraschend ruhig aus der Dunkelheit. »Mh-mh, ich geh ins Badezimmer.«

Jenny hörte, wie Sandy ihre Zigaretten und den Aschenbecher an sich nahm, ins Badezimmer ging und die Tür hinter sich schloss. Ein dünner Lichtstrahl drang unter der Badezimmertür durch. Etwas in Sandys Stimme hatte Jenny beunruhigt. Die bisherige Schroffheit fehlte. Stattdessen meinte Jenny eine Spur von Verletzlichkeit wahrgenommen zu haben. Nun, es war ein harter Tag gewesen. Jenny glitt in den Schlaf hinüber.

Sandy stand mit verlorenem Gesichtsausdruck vor dem Spiegel. Noch nie hatte sie sich so einsam gefühlt. Auf so fremdem Terrain. Sandy wusste, dass sie vor einer neuen Situation stand. Und dass irgendetwas weichen musste. Aber sie wusste verdammt noch mal nicht, was. Sie hatte einen sauren Geschmack im Mund, der nicht verschwinden wollte, selbst wenn sie schluckte. Sie spürte, wie sich ihre Angst zu Panik steigerte, und beruhigte sich, indem sie das kühle weiße Porzellanwaschbecken umklammerte, bis sie nichts mehr außer der Spannung in ihren Händen fühlte. Sie rief sich in Erinnerung, dass sie schon härtere Zeiten durchgestanden hatte und auch dies überleben würde. Langsam lockerte sie ihren Griff und begann wieder zu atmen.

4

Zu ihrer beider großen Überraschung wurden Sandy und Jenny Freundinnen. Es begann mit der Entdeckung, dass sie beide gern Karten spielten. Da das College an Wochentagen eine frühe Ausgangssperre verhängte, gab es an den Abenden wenig zu tun (außer wenn du eine Streberin warst und lerntest), also regten die beiden Mädchen an, im Aufenthaltsraum des Wohnheims Binokel zu spielen. Was als gelegentliche Unternehmung begann, entwickelte sich bald zu einem allabendlichen Ereignis. Sandy und Jenny wurden Partnerinnen und begannen alle anderen herauszufordern. Sie fingen sofort nach dem Abendessen mit dem Spielen an und saßen stundenlang am Bridgetisch, während sich leere Colaflaschen und Chipstüten, Schokoriegel- und Eiscremepapier um das Sofa und die Sessel herum ansammelten. Ganz gleich wie spät es wurde, Sandy und Jenny wollten stets noch weiterspielen. Wenn die anderen sich schläfrig entschuldigten, um ins Bett zu gehen, blieben sie noch eine Weile auf, zählten ihre Siege und ließen die Anspannung und Aufregung des Spiels ausklingen.

Aber es waren nicht nur die gemeinsamen Siege, die die beiden ungleichen Mädchen zusammenbrachten. Es waren auch diese schrecklichen Morgenstunden, wenn der Wecker um halb acht klingelte, nachdem sie bis morgens um vier gespielt hatten. Sandy rollte sich automatisch aus dem Bett, ein wandelnder Zombie. Mary war normalerweise schon aufgestanden und gegangen. Jenny verschlief den Wecker immer, also rüttelte Sandy sie auf dem Weg zum Badezimmer grob an der Schulter. Wenn Sandy merkte, dass Jenny auf diese erste Maßnahme nicht reagierte, überlegte sie, welche weiteren Schritte sie unternehmen könnte. Manchmal stellte sie Jennys Radiowecker, so dass unvermittelt lauter Rock’n’Roll aus dem Radio dröhnte, was Jenny sofort hochfahren ließ. Ein andermal tröpfelte sie kaltes Wasser auf Jennys Gesicht oder Zehen, nachdem sie vorsichtig die Bettdecke angehoben hatte. Und als die Vertrautheit zwischen ihnen wuchs, wurde Sandy so mutig, dass sie die Berührungsbarriere durchbrach und mit der stets verlässlichen Kitzeltortur experimentierte. Diese frühmorgendlichen Spielereien endeten meist in Geschrei und Gelächter. Auch wenn sie nicht viel fürs Studium taten, erschienen sie zumindest immer zum Unterricht.

Groggy und noch halb schlafend zockelten sie hinunter zur Cafeteria. Der Porridge hatte die Konsistenz nassen Zements und wurde in beigefarbenen Porzellanschalen ausgegeben. Die Eier, aus einer Pulvermischung geschlagen, waren völlig wässrig. Der Toast, den es in zwei Varianten gab – verbrannt oder durchgeweicht – stellte sie zu dieser Morgenstunde vor eine schwere Entscheidung. Der Orangensaft hatte die Farbe von Pisse, der Kaffee war grauenhaft. Die gemeinsame Bewältigung harter Lebensumstände schafft unweigerlich starke Bindungen zwischen den Menschen, die unter solch inhumanen Zuständen leiden. Sandy und Jenny entwickelten geheime Rituale, um ihren stummen Protest auszudrücken. Sie saßen am Tisch, starrten auf ihre Teller und sahen einander an. Jenny probierte als erstes den Saft und verzog das Gesicht. Sandy nahm den Saft von ihrem Tablett und stellte ihn beiseite. Sie stocherte in den wässrigen Eiern herum, nahm schließlich allen Mut zusammen, um sie zu kosten, und spuckte sie voller Abscheu gleich wieder aus. Jenny nahm die Eier von ihrem Tablett und griff nach dem Toast, der hart und bröckelig war und in kleine Brösel zerfiel. Den Kaffee probierten sie gemeinsam und schnitten beide Grimassen. Sie nickten und standen auf, stellten die Speisen auf ihre Tabletts zurück und trugen sie direkt zu den riesigen, mit Plastiksäcken ausgeschlagenen Abfalleimern, wo sie sich des missratenen Frühstücks mit abgewandtem Gesicht entledigten. Anschließend wandten sie sich einander zu und schüttelten sich in einem schweigenden Pakt die Hand.

Bei den vor- und nachmittäglichen Ausflügen in leere Kinos, wo sie sich auf ihren Plätzen lümmelten und die Füße auf die Lehnen der Sitze vor ihnen legten, wurde ihre Freundschaft endgültig besiegelt. In die Betrachtung der Leinwand versunken, lehnten sie aneinander und mampften Butterpopcorn. Ihre Hände berührten sich, wenn sie beide in dieselbe fettige Tüte griffen, und ungeniert leckten sie sich geräuschvoll die Finger ab.

Sie aßen zusammen, gingen zusammen zum Unterricht, spielten zusammen Karten, lernten zusammen und gingen zusammen aus. Sie wurden beste Freundinnen.

5

Sandy versuchte, ihre Wimperntusche diesmal richtig aufzulegen. Normalerweise trug sie sie zu dick auf, so dass ihr Gesicht am Ende des Abends verschmiert und fleckig war. Einmal, noch während ihrer High-School-Zeit, als sie mit Tom und einem zweiten Pärchen im Auto auf dem Heimweg gewesen war, hatte das andere Mädchen plötzlich geschrien: »Da, sieh mal!« Sandy hatte sich umgeschaut, aber nichts sonderlich Interessantes entdecken können. »Na da, du Dummchen, an deiner Hand!« Sandy hatte auf ihre Hand geschaut und lange schwarze Spuren von Wimperntusche an ihren Fingern bemerkt. Doch ihr war es unvorstellbar, sich nicht die Augen zu reiben, wenn sie juckten. Es war wie mit dem Pinkeln. Wenn du musstest, dann gingst du. Ein Glück, dass die Mode nicht diktierte, sich zwischen den Beinen zu schminken.

Jenny ging mit Schlüpfer und BH bekleidet ins Badezimmer. Da sie keine schwarze Unterwäsche trug, nahm Sandy an, dass sie den Jungen, mit dem sie verabredet war, nicht gut kannte.

»Mit wem gehst du heute Abend aus?«

»Bob Klein.« Jenny malte gerade ihren Lidstrich. Sandy bemerkte, wie anmutig die Linie ihres Ellenbogens war – er war schmal, aber fest. Der Strich, den Jenny zog, war ganz gerade. »Er hat das Sami vorgeschlagen.« Sie war mit dem linken Auge fertig, drehte den Kopf nach rechts und schielte in den Spiegel, um sich zu vergewissern, dass sie es gut hinbekommen hatte. »Ich habe ihn im Calculus getroffen … Wie steht’s mit dir?«

Sandy starrte wieder in den Spiegel über dem Waschbecken und trug auf gut Glück noch eine letzte Schicht auf. Jenny beugte sich über das andere Waschbecken und schminkte sich das rechte Auge. Es kam Sandy immer merkwürdig vor, dass Frauen einander kaum ansahen, wenn sie im Badezimmer miteinander redeten. Stattdessen starrten sie in den Spiegel und zupften an ihrer Bluse, bis sie richtig saß, oder machten sich das Gesicht zurecht. Aber es schien ein wichtiges Ritual zu sein, also wandte sich Sandy beim Reden weiterhin dem Spiegel zu, obwohl es für sie nichts mehr zu tun gab.

»Ich kenne meinen noch nicht. Bunny hat mich dazu überredet. Er soll ein Schönling sein.« Sandy klang skeptisch. Sie selbst hatte noch nie ein Rendezvous mit einem Unbekannten gehabt, aber die anderen Mädchen meinten immer, es sei schrecklich. »Ich glaube, er will ins Sig gehen. Wann wirst du abgeholt?«

»Um acht.«

»Ich auch.« Sandys Enthusiasmus hielt sich in Grenzen. Sie hätte nichts dagegen gehabt, den Abend zu Hause zu verbringen, wenn es ihrem Ruf nicht geschadet hätte. Sie wäre gerne in Jeans und T-Shirt in den Fernsehraum hinuntergegangen und hätte sich zusammen mit denen, die gerade da waren, einen gemütlichen Abend gemacht. Aber sie hatte schon am letzten Freitagabend keine Verabredung gehabt, und einige der Mädchen hatten sich aufgeführt, als sei es enorm wichtig, dass sie sich dieses Wochenende verabredete. Sandy wollte sich nicht nachsagen lassen, dass sie unbeliebt sei oder so, aber sie sah eigentlich keinen Grund, in Panik zu verfallen, nur weil sie einige Wochen lang keine Verabredung gehabt hatte. In der High-School hatte sie sich oft monatelang nicht verabredet. Dann hatte sie jemanden kennengelernt, meistens bei der Party einer Studentenverbindung von der New York University oder von Columbia oder dem City College von New York. Die Studenten vom CCNY hatte sie am meisten gemocht; sie drängten nicht ständig darauf, »es« zu tun, und sie schienen die Mädchen mehr zu respektieren. Normalerweise hatten sie nicht viel Geld; anstatt also in irgendwelche schicken Bars zu gehen, saßen sie nach dem Kino in Cafés und redeten stundenlang. Sandy mochte das. Es war eine Möglichkeit, die Jungen von Anfang an wissen zu lassen, dass sie nicht auf den Kopf gefallen war. Sie hatten sie immer mit sehr viel Respekt behandelt und sie im Auto nicht bedrängt oder ihr vorgeworfen, erst mache sie sie heiß und dann stelle sie sich zickig an. Sandy wusste von anderen Mädchen, die nein gesagt hatten und denen genau das passiert war. Allein der Gedanke daran trieb ihr die Schamröte ins Gesicht.

Jenny war nun fertig angezogen und prüfte sich im Spiegel. Sie runzelte leicht die Stirn, als sie ihr Profil betrachtete. Sandy musste zugeben, dass Jenny eine ziemlich große Nase hatte. Aber Sandy fand, es verlieh ihrem Gesicht Charakter. Jenny akzeptierte das Charakter-Argument nicht. In der High-School hatte sie überlegt, sich die Nase korrigieren zu lassen, sich jedoch dagegen entschieden. Alle anderen Mädchen hatten es machen lassen, aber Jenny war standhaft geblieben. Das mochte Sandy an Jenny. Auf ihre Weise schwamm auch sie gegen den Strom. Wie Sandy.

Sandy fühlte sich nicht mehr ganz so einsam wie in den ersten Wochen. Sie hatte sich mit einigen Mädchen angefreundet, und alle auf der Etage schienen sie zu respektieren. Sie behandelten sie, als sei sie älter und klüger, und das gefiel Sandy. Sie war mehr herumgekommen als die anderen Mädchen, und das war zu spüren. In gewisser Hinsicht war es von Vorteil, in der Bronx aufgewachsen zu sein. Niemand konnte sagen, sie sei nicht mit allen Wassern gewaschen. Und angesichts der Albernheit und des Teenie-Gehabes der anderen Neuen und selbst der älteren Schülerinnen auf ihrer Etage fühlte Sandy sich oft überlegen. War sie die Einzige, die in der High-School politisch aktiv gewesen war? Die anderen Mädchen hörten aufmerksam zu, wenn Sandy von den Demonstrationen erzählte, an denen sie teilgenommen, und von den Dingen, die sie gesehen hatte. Und einmal hatte sie mit mehreren anderen Mädchen über Religion gesprochen. Sie und eine Katholikin waren in eine hitzige Debatte über das Leben nach dem Tod und die Existenz Gottes geraten. Sandy war die erste Atheistin, mit der das katholische Mädchen jemals gesprochen hatte, und sie sah in den Augen der Zuhörerinnen, dass ihre Argumente weit überzeugender waren.

Obwohl Sandy das Ansehen, das sie in den ersten Monaten im Wohnheim gewonnen hatte, genoss, fühlte sie sich manchmal dennoch allen anderen entfremdet. Das hatte meistens mit Geld zu tun. Die anderen Mädchen verfügten über enorme Summen an Taschengeld und gaben es leichtfertig aus. Sandy musste ihr Geld sorgfältig zusammenhalten, deshalb sagte sie oft, wenn die anderen sich eine Pizza bestellten, ihr wäre nicht danach. Abgesehen davon verfügte sie auch nicht über die Gerätschaften, die die anderen Mädchen besaßen, und ihr Stolz machte es ihr schwer, sich etwas auszuleihen, wenn sie im Gegenzug nichts zu bieten hatte. Sandy war erstaunt über die Besitztümer der anderen Mädchen und darüber, für wie selbstverständlich sie gehalten wurden – Föns, Schreibmaschinen, Stereoanlagen … die Liste war endlos. Sandy und ihre Mutter waren vor ihrer Abreise einkaufen gegangen, um eine gute Schreibtischlampe zu besorgen. Damit sie sich nicht die Augen verdarb, wenn sie spät abends lernte. Sie hatten eine teure genommen, das Neueste auf dem Markt, die von fluoreszierendem zu normalem Licht umzuschalten war. Sie hatte Federn und Gelenke, so dass sie sich in jede gewünschte Richtung ausziehen und drehen ließ. Die Lampe, ihr Kofferradio und ein Wecker, den ihre Mutter mit Rabattmarken gekauft hatte, waren alles, was Sandy besaß. Sie hätte es nie zugegeben, aber sie schämte sich ihrer Sachen oder besser gesagt, ihrer fehlenden Sachen ein wenig. Sie sagte sich, dass die anderen Mädchen oberflächlich und verwöhnt seien, und in vielerlei Hinsicht stimmte das auch. Sandy war stolz darauf, dass sie aus einer Arbeiterfamilie kam, dass sie ein Stipendium erhalten hatte und dass ihre Eltern Opfer gebracht hatten, damit sie aufs College gehen konnte. Sehr wenige Schülerinnen kamen aus Brooklyn oder der Bronx, und Sandy begriff, wie ungewöhnlich es war, dass jemand wie sie auf eine höhere Schule ging. Einerseits empfand sie sich als anders, als etwas Besonderes, und ihre Einzigartigkeit gefiel ihr. Doch gelegentlich, etwa wenn die Mädchen über die Berufe ihrer Väter sprachen, fühlte Sandy sich unterlegen, und es war ihr peinlich. Und dann schämte sie sich noch mehr, weil sie nicht stolz darauf war zu sagen, dass ihr Vater Fabrikarbeiter war. Die Väter der meisten Mädchen waren selbstständig – Ärzte, Rechtsanwälte, Geschäftsleute, einige wenige Staatsbedienstete –, und wenn sie hörten, was Sandys Vater machte, entstand verlegenes Schweigen, bis schließlich jemand sagte: »Oh, wie interessant!« Aber es konnte nicht allzu interessant sein, denn niemand ging weiter darauf ein, und das Gespräch wurde rasch an einem anderen Punkt fortgesetzt.

Jenny nahm ihre Handtasche und drehte sich zu Sandy um. »Bist du fertig?« Sandy nickte. »Prima. Wir können zusammen hinuntergehen. Auf diese Weise bekomme ich deinen tollen Typen zu sehen.«

Sie verließen das Zimmer und gingen den Flur entlang zum Aufzug. Sie fühlten sich mittlerweile richtig vertraut miteinander. Die Ablehnung und das Misstrauen der ersten Zeit waren verschwunden. Sandy hatte immer eine beste Freundin gehabt, seit sie acht Jahre alt war und die Jungen sich ihr gegenüber allmählich etwas komisch verhielten, und nun spürte sie diese enge Vertrautheit mit Jenny. Es war ein gutes Gefühl.

Eine Gruppe von Mädchen stand um die große Rezeption in der Eingangshalle des Wohnheims herum und wartete auf die Jungen, mit denen sie verabredet waren. Sandy und Jenny schlossen sich ihnen an und beobachteten die hereinkommenden Typen.

»Er soll groß sein, mit blonden Haaren. Ich habe ihm gesagt, ich würde eine lilafarbene Bluse tragen.« Sandy kaute Kaugummi, mit weit offenem Mund. Jenny hatte gemeint, das sähe grässlich aus, aber nachdem Sandy erwidert hatte, sie klänge wie ihre Mutter, hatte Jenny nichts mehr gesagt.

Ein sehr großer, sehr dünner Typ kam herein. Er trug ein Trikot aus Leopardenfell, das seine behaarte Brust nur zur Hälfte bedeckte. Sein Gang war schlaksig und unbeholfen. Sandy und Jenny wechselten einen Blick des Entsetzens. Sie begannen zu kichern, und Sandy piekte Jenny in die Rippen. »Hoffen wir, dass das nicht meiner ist«, sagte Sandy leise. Doch eigentlich machte sie sich keine Sorgen, denn Bunny hatte ihr gesagt, er sei echt süß. Er sah sich unter den Mädchen um und steuerte auf Sandy zu. Sie wurde bleich.

»O nein! Er kommt hierher.«

»Hallo, ich bin Butch. Bist du Sandy?«

Sandy schluckte. Das konnte doch nicht wahr sein! Wenn sie Bunny zu fassen kriegte … »Ja.« In diesem Moment wünschte sie verzweifelt, sie wäre nicht Sandy.

»Gut. Dann haben wir uns ja gefunden.«

Sandy musterte ihn und mochte ihren Augen kaum trauen. Jenny versuchte, das Lachen zu unterdrücken, aber es gelang ihr nicht ganz.

»Äh … was soll dieser Tarzan-Aufzug?« Ein Anflug von Sarkasmus schlich sich in Sandys Stimme, obwohl sie versuchte, höflich zu sein.

Butch schien stolz auf sich zu sein, als er an seinem Aufzug hinunterblickte. Sandy fragte sich, ob er einen Dachschaden hatte.

»Oh, habe ich dir das nicht gesagt? Es ist eine Hawaii-Party.«

»Nein, hast du nicht.« Denn dann hätte ich mich nie auf diese Verabredung eingelassen, du Mistkerl, dachte sie. Der Ärger in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Aber Butch schien ihre Gereiztheit als Besorgnis darüber, dass sie kein Kostüm hatte, zu missdeuten. »Mach dir keine Sorgen. Ich dachte mir, dass du nichts Passendes anzuziehen hättest, also habe ich einen Grasrock mitgebracht. Er ist hinten auf meinem Motorrad. Du kannst ihn anziehen, wenn wir da sind.«

Sandy war zu verblüfft, um ihren ironischen Ton beizubehalten. »Motorrad?«, fragte sie mit piepsiger Stimme.

»Ja. Komm, lass uns gehen.« Butch war mit sich zufrieden. Er schrieb ihre piepsige Stimme ihrer natürlichen weiblichen Angst zu, auf seinem Motorrad mitzufahren. Er nahm sich vor, unterwegs einige Schlenker und Kurven zu machen, um ihr zu demonstrieren, was für ein guter Fahrer er war.

»Viel Spaß!« Jennys Stimme klang fröhlich. Sie streute Salz in die Wunde.

Sandy warf ihr einen bösen Blick zu, als Butch ihren Arm ergriff und sie mit sich zog. Sie würde es Jenny später heimzahlen. Und diese Bunny würde was zu hören bekommen!

6