cover

FRAUEN IM SINN

 

logo

Verlag Krug & Schadenberg

 

 

Literatur deutschsprachiger und internationaler

Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,

historische Romane, Erzählungen)

 

Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen

rund um das lesbische Leben

 

Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.

 

Verführungen

 

K+S digital

Viola Roggenkamp

Seidenprobe

Als ich sie das erste Mal sah, hatte ich keine Ahnung, daß sie sich etwas vorgenommen hatte. Daß sie sich etwas mit mir vorgenommen hatte. Was sie sich vorgenommen hatte, war: eine lesbische Frau.

Zum ersten Mal in ihrem Leben.

Es traf mich.

Sie wollte eine Frau kennenlernen, die Frauen liebt. Und diese Frau wollte sie für sich erobern.

Ich sah sie und wollte sie, ohne zu wissen, daß sie sich bereits über mich erkundigt hatte. Ich sah ihren übermütigen Blick. Sie flirtete mit mir. Sie sah meine Lust und erkannte mein Begehren nach ihrer Weiblichkeit. Ich sah eine Frau, die mit Männern lebte. Diese attraktive Frau wegnehmen. Den Männern wegnehmen.

Wir saßen alle drei am Küchentisch. Wir waren zu dritt, und es war Konrads Küchentisch. Es war seine Küche in seiner Wohnung. Und es war sein Geburtstag. Er war vierundvierzig Jahre alt geworden. Genauso alt wie sie. Wir kannten ihn beide und hatten einander nie kennengelernt.

Ihre Lippen waren rot geschminkt. Ich hörte ihr gar nicht zu. Sie sprach, um ihre Stimme in unterschiedlichsten Schattierungen vorzuführen. Bestimmt für mein Ohr. Sie sprach über die amerikanische Frauenbewegung und über die militanten Lesben, die ihr unbehaglich gewesen waren. Ich trug an diesem Abend ein Oberhemd meines Vaters, so weit aufgeknöpft, daß meine Brüste zu sehen waren. Darüber ein schwarzes Bolero zu blauen Jeans. Ich sah nicht militant aus.

Sie trug schwarze Strümpfe und schwarze Pumps und darüber nur einen langen, weiten weißen Pullover, unter dem sie ihren vollen Busen verbarg. Sie schützte ihre Weiblichkeit. Sie sah militanter aus.

Später behauptete sie, es seien Leggings gewesen, und nie wäre sie bloß in Strumpfhosen gekommen. Was immer es war, es waren ihre kräftigen Waden.

Sie war nicht dünn. Sie war beinahe schlank. Aber eher nicht. Sie hatte einen kleinen Bauch und Hüften und einen runden Hintern, den sie beim Gehen wiegen konnte. Das konnte sie aber auch lassen. Ganz wie sie wollte. Überschritt ich ihre Grenze und kam ich ihr zu nahe, so daß sie nicht mehr auszuholen vermochte, um mich abzuwehren, konnte sie sich aufblasen wie ein kleiner Kugelfisch, dabei innerlich dünn und gespannt wie ein Seil.

An diesem ersten Abend hätten wir sofort im Bett landen können. Oder auf dem Teppich. Oder auf Konrads Küchentisch. Mir fiel auf, daß es nicht etwa meine Lust allein war, die hier eine kluge Frau gierig auf ihren Körper reduzierte. Sie wollte so begehrt werden. Von mir. Um meiner sicher sein zu können. Der anderen Frau.

Auch vor diesem Mann?

Oder machte sie mich ganz einfach an wie einen Mann? Ich hätte das genießen können, wäre der Mann nicht Zeuge gewesen.

Sie aß, während sie sprach. Käse und Brot. Konrad hatte alles vor ihr aufgebaut und sich dann vor sie hingesetzt. Die Tischplatte dazwischen. Ich sah zu, wie sie die Schale vom Camembert abschnitt und sich das weiche, cremigweiße Innere in ihren Mund stopfte. Sie tat es mit Vorsicht. Um den Lippenstift nicht zu verschmieren. Sie öffnete ihre Lippen zu einem O und stülpte sie dann leicht gekräuselt über den Bissen. Küssen und verschlingen. Ich sah ihr zu. Konrad auch. Dann sah ich auf Konrad, wie er halb über dem Tisch liegend von ihrem Teller die Käserinden sammelte und sie Stück für Stück verzehrte.

Warum ißt du denn nicht richtig? fragte ich ihn, denn dieser Anblick machte mich wütend auf sie, und genau dieses Gefühl wollte ich jetzt nicht haben.

Oh, ich esse gern die Rinden, sagte er und lag mit seinem Gesicht auf ihrem Teller. Das wurde ihr unangenehm vor mir. Im selben Moment begann ich mich vor ihm zu ekeln.

Ich fuhr sie nach Hause. Sie war mit Vorbedacht ohne Auto gekommen. Die lustvolle Spannung zwischen uns war Genuß. Sprechen konnten wir nicht. Meine Hände lagen auf dem Steuerrad.

Ohne sie zu berühren, griff ich über ihren Schoß hinweg nach dem Türgriff und öffnete den Wagen für sie von innen. Wir standen vor ihrem Haus. Sie hatte erwartet, ich wollte, daß sie sich von mir küssen ließe.

Du kannst mich ja vielleicht mal anrufen, sagte ich lächelnd zu ihr. Meine Lippen waren feucht vor Erregung. Sie war sprachlos. Dann legte sie mir einen Kuß wie eine leise Berührung auf die Wange. Und ich war sehr zufrieden mit mir.

Zu Hause erst fühlte ich unruhevoll, daß wir uns voneinander hätten trennen können, wenn wir miteinander geschlafen hätten.

Drei Wochen später stand ich in ihrem Büro, neben ihrem Schreibtisch. Unangemeldet. Ihrer Sekretärin hatte ich rasch zugewunken, als sei ich eine alte Bekannte. Ich setzte mich. Das Blut stieg ihr in den Kopf. Mir raste das Herz, und ich hörte mich erstaunlich ruhig sagen: Wann? Und wo? Bei dir oder bei mir? Du wolltest doch mit einer Frau schlafen. Ich bin einverstanden.

Wir fanden kein Ende. Pausen mußten sein. Um zu essen. Um Geld zu verdienen. Ihr Auto mußte zum TÜV. Ich mußte meine Mutter besuchen.

Dann fanden wir die Lust draußen. Wir wollten uns sehen, auf der Straße, im Lokal. Die andere sehen, im Gespräch mit anderen. Ein bißchen Distanz, um sie wiederzufinden, um sie zu erkennen. Sie wollte mehr. Sie wollte auf weißem Büttenpapier aller Welt kundtun, daß sie sich glücklich fühlte. Statt dessen bekam sie Magenschmerzen. Sie mußte zum Arzt gehen.

Warum gehst du nicht zu einer Ärztin? Sei nicht so sexistisch, lachte sie. Ich will nicht, daß du dich vor einem Mann ausziehst, sagte ich.

Der Arzt sagte, Überreizung der Schleimhäute.

Sie hatte Angst, daß es herauskäme, was sie auf weißem Büttenpapier ihrem geschiedenen Mann, ihrem Chef, ihren Kollegen, ihren ehemaligen Liebhabern bekanntgeben wollte.

Du siehst doch gar nicht lesbisch aus, versuchte ich sie zu beruhigen. Aber man sieht mir an, wie verliebt ich in dich bin, lachte sie und weinte.

Ihrer besten Freundin vertraute sie sich als erster an.

Und? fragte ich. Was hat sie gesagt? Sie setzte sich neben mich auf meine Couch. Sie legte ihren Kopf in meinen Schoß und begann zu weinen:

Sie hat mich gefragt, ob ich nicht einfach etwas überspannt sei. Ob ich nicht bloß frustriert sei von den Männern. Ob ich mir da nicht doch etwas vormache. Das könne doch gar nicht gehen. Ob ich denn jetzt etwa lesbisch sei. Sie ist von mir abgerückt. Ich dachte, sie freut sich mit mir und vielleicht auch für sich als eine Möglichkeit am Horizont. Sie war mir böse und faßte mich nicht mehr an.

Ich schwieg und versuchte mich zu schützen vor Vergiftung.

Nein. Unbesorgt. Du bist jetzt nicht etwa lesbisch. Ich sprach es nicht aus. Es hätte mich zerrissen und sie womöglich beruhigt.

Deine beste Freundin ist eifersüchtig, sagte ich statt dessen. Denn das, was zwischen uns ist, hättest du ja auch mit ihr haben können.

Nein, sagte sie gedehnt und in aller Gelassenheit mit Entrüstung: Franziska doch nicht.

Und warum du? schrie ich. Und was bin ich denn? Etwa keine Frau?

Wir hatten unseren ersten Krach. Wir trugen ihn nie aus.

Sie fand eine Frau, die ihrer neuen Liebe den Segen geben konnte.

Bitte, laß es uns machen. Tu mir den Gefallen. Ich möchte es so gern. Ich willigte ein.

Es war eine Wahrsagerin. Mama Josefa. Sie saß im Foyer eines Theaters. Ihre große schwarze Handtasche auf dem breiten Schoß. Wir setzten uns an ihren kleinen Holztisch. Einander gegenüber. Mama Josefa saß zwischen uns, sah uns an und hatte alles im Griff.

Das schwarze Haar trug sie zu einem dicken Knoten gebunden. Ihr schwerer Busen ruhte auf ihrem Bauch und der wiederum auf ihren ruhenden Oberschenkeln. Dazwischen der Mittelpunkt der Welt. Sie öffnete ihre Tasche und sah dabei auf mich: Kugel oder Karten?

Karten, sagte ich, und sie nickte zufrieden. Es waren sehr schöne alte Tarotkarten. Vielfach befingert, abgegriffen, doch unvermindert stark in den Farben. Ich mußte sie mehrmals berühren. Dann blätterte sie auf. Das Wissen lag vor ihr. Wir konnten nichts erkennen. Sie schwieg und sah lange auf die Komposition der bildhaften Symbole vor sich. Mein Lebensentwurf, in dem sie wie in einer Partitur zu lesen schien. Stumm. Endlich sah sie auf und in die Augen meiner Liebsten. Dann wandte sie sich mir zu und sagte langsam: „Meine Dame, Sie sind ein Kater.“

Daß ich sie betrügen könnte, war ihre größte Sorge. Natürlich nur mit einer anderen Frau. Und wenn es ein Mann wäre? Sie hob die Schultern und die Augenbrauen. Ein Mann? wiederholte sie. Ihr Ton kränkte mich. Viel Spaß. Ein Mann ist keine Bedrohung für mich.

Warum nicht? fragte ich wütend.

Da kenne ich mich aus, antwortete sie. Es stimmte. Sie hatte nun zwei Möglichkeiten. Ich nur eine.

Ich möchte auch, sagte sie. Ich hatte gar nichts dagegen. Ich hatte schon darauf gewartet. Ihr Kopf verschwand zwischen meinen Beinen.

Nichts geschah. Ich zog etwas an ihren Locken. Was machst du da?

Sie tauchte wieder auf, mit gerötetem Gesicht, als sei sie bei etwas Schlimmem erwischt worden.

Ich habe noch nie eine Klitoris gesehen, sagte sie. Ich atmete schwer. In mir stiegen mütterliche Gefühle auf. Sie hockte vor mir. Ihr Mund schämte sich. Ihre Augen wollten mehr.

Beim nächsten Mal hatte ich einen kleinen Spiegel bei mir. Einen wunderschönen zierlichen Taschenspiegel. Ich hatte ihn für sie in einer teuren Parfümerie gekauft. Sie saß im Bett. Nackt. Ein kleines Mädchen mit einem großen Busen. Sie spreizte ihre Beine, und ich küßte sie, um sie hervorzulocken. Dann hielt ich ihr den Spiegel hin, den sie nicht selbst halten wollte. Sie sah sich. Und ich sah sie. Während sie ihren Anblick in sich aufnahm, sagte sie wie aufgezogen mit starrer Stimme: Aber du nutzt die Situation doch jetzt nicht aus, nicht wahr?

Warum fühlte ich mich durch ihren Satz entsexualisiert? Aber genau so war es. Ich hatte den Satz verstanden. Irgendwie verstanden. Ein Mann hätte nach ihrer Erfahrung die Situation ausgenutzt. Eine Frau tut so etwas nicht? Sie aber war eine Frau, die gerade etwas tat, was eine Frau nicht tut. Sie besah sich ihre angeschwollene Klitoris.

Warum hatte ich in jener Nacht Angst, sie könnte an mir den Penis vermissen, und Haß auf jeden, der vor mir in ihr gewesen war? Weil ich die Situation nicht ausgenutzt hatte? Ich konnte nicht aufhören. Ich war so wild und heftig, daß ich glaubte, ihr weh zu tun. Ich wollte ihr weh tun. Ihr ging es immer besser. Irgendwann zog sie mich ganz fest an sich und murmelte etwas von nur noch vier Stunden Schlaf. Und: Ich habe doch morgen große Konferenz.

Sie war Dozentin an der Universität und wollte sich habilitieren. Sie war eine kluge, gutverdienende, attraktive, sinnliche Frau. Und sie war über Vierzig. Mit vielen Männern hatte sie geschlafen. Mit dem Dekan, mit den meisten ihrer älteren Professoren und mit einigen Studenten. Verheiratet war sie auch gewesen. Sechs Monate lang.

Warum jetzt eine Frau? Sie sah mich an und gab mir Antwort: Für eine Frau an seiner Seite war ich immer etwas zu klug, etwas zu gut verdienend, etwas zu erfolgreich. Jetzt habe ich zu viele Falten. Sie war nicht traurig. Sie war wütend. Sie war haßerfüllt.

Ich war für sie eine Frau, die kein Mann haben konnte. Triumph der Verweigerung durch die andere.

Glaube mir, sagte sie, es wäre mir lieber, ich wäre eher darauf gekommen, wie ich mich vor solchen Demütigungen hätte schützen können.

Und dein Begehren? fragte ich und dachte, gleich sind wir beide mit uns am Ende.

An mein Begehren habe ich nie zu glauben gewagt, sagte sie.

Wir waren gerettet.

Zu ihrem fünfundvierzigsten Geburtstag schenkte ich ihr seidene Unterwäsche. Ausschließlich Frauen waren eingeladen, Freundinnen, die alle mit Männern zusammenlebten. Mein Geschenk wurde von allen betastet, bejohlt, anzüglich belacht, es wurde gepfiffen und mit der Zunge geschnalzt. Ich schämte mich. Als sei ich in einen Haufen geiler Männer geraten. Die reine Frauenliebe kennt keine Dessous. Ich war so schlimm wie ein Mann.

Der Abend ging vorüber.

Ich wartete.

Ich wartete und schwieg. Ich hatte gefährlichen Boden betreten.

Reizwäsche. Ich wollte sie darin sehen. Sie sollte es für mich anziehen. Ich war in Sorge, alte Narben würden bei ihr aufbrechen. Als wollte ich über sie verfügen zu meiner Lust. Wie ihre Männer. Und trotzdem wollte ich es. Gerade darum wollte ich es. Für mich sollte sie es tun. Für mich auch!

Ich wartete. Wochen vergingen. Eines Abends öffnete sie mir die Tür im Bademantel. Darunter sah ich die Seide. Sie behielt mich genau im Auge. Ich wollte mir nichts anmerken lassen, hörte mich aber sagen: Du hast es an. Meine Stimme klang gar nicht lüstern, eher ängstlich. Schon ging es ihr besser. Sie hatte Champagner gekauft.

Im Bett streifte ich ihr den Bademantel von den Schultern. Langsam. Der Stoff. Ihre Haut. Sie rührte sich nicht. Nur ihre Stimme bewegte sich zu mir hin. Zieh du es an, sagte sie. Ich will, daß du es anziehst.

Ich hatte es gehört. Es berührte etwas in mir, das darauf gewartet hatte. Ja, flüsterte ich. Aber nur das Hemd. Nicht die Hose. Die ist so schlüpfrig. Da kann man ja überall von allen Seiten hineingreifen.

Okay, sagte sie, zog sich das Hemd über den Kopf und reichte es mir. Wie sie da saß mit nacktem Oberkörper, nur mit der Hose bekleidet, waren aus dem delikaten Stück auf einmal Boxer-Shorts geworden.

Ich ließ das Hemd über meinen Kopf gleiten. Der kühle, glatte Stoff bedeckte meine warme Haut und zeigte meinen Busen. Ich sah es. Sie sah es.

Ich sah sie an. Sie sah auf mich. In ihrem Blick fand ich mich wieder. Sie wollte wirklich die Frau.

Stephanie Rosenbaum

Wo du sein willst

Du sitzt an der Bar und zerdrückst die Limone in deinem Wodka, stichst immer wieder das spitze Ende des Cocktailstäbchens in sie hinein, bis die durchscheinenden breiigen Fasern sich ausbreiten wie eine erschöpfte Qualle. Wenn das Glas leer ist, wirst du das übriggebliebene Stückchen Limone aufspießen und aufessen, den bitteren, wodka-gefärbten Beigeschmack der dunkelgrünen Schale genießen. Doch im Augenblick ist dein Glas noch halb voll, und du konzentrierst dich darauf, die Tür zu beobachten. Du wartest auf sie.

Jede Woche, am Mittwoch, schmeißt du die Pussycat Lounge, ein auf Retro gestyltes Happy-Hour-Cabaret mit Peggy Lee im Hintergrund und einem Teller mit winzigen rosa-grünen Canapés auf jedem der von Kerzen beleuchteten Tische. Deine Mitbewohnerinnen gewöhnen sich daran, dich in der Küche stehen zu sehen, in Nahtstrümpfen und mit einer Hochfrisur-Perücke, während du die Krusten an Dutzenden von Pfefferkäse-Gurken-Sandwiches mit einem Fleischermesser abhackst. Deine letzte Freundin war Elvis-Imitatorin und versiert in Abschlußball-Phantasien, deshalb mußtest du nicht viel Zeit auf das Durchstöbern von Secondhand-Läden verwenden, als dir dieser Hostessen-Job angeboten wurde. In deiner Wäschekommode liegen weiße T-Shirts und Flanellpyjamas, doch dein Schrank ist voll von raschelndem Taft, gewagtem kirschrotem Satin und zarter grüner Spitze an fleischfarbener Seide. Heute abend trägst du ein ärmelloses Sommerkleid mit glockigem Rock aus schwarzem Piqué. Flache schwarze Knöpfe schließen das Kleid vom Halsansatz bis hinunter über die Knie. In Erinnerung an die Theatergruppe in der Schule nennst du es dein Hedda-Gabler-reist-nach-Italien-Kleid, elegant und gediegen, nur mit einem breiten schwarzen Ledergürtel zur Verzierung.

Darunter trägst du nichts als schwarze Strümpfe, von einem Strumpfgürtel aus dunkelroter Spitze gehalten. Es ist zu heiß für einen BH, und deine Brüste drängen gegen die steifen Falten des Gewebes, als du dich umdrehst, um die Frau hinter dem Plattenteller zu bitten, die Lautstärke zu drosseln. Es ist noch früh, noch sind nicht genug Leiber im Raum, um den Lärm aufzusaugen, doch DJanes sind temperamentvoll, und diese hier hat die bei weitem beste Sammlung an Barmusik, die du je gehört hast; also bringst du ihr, zusammen mit deinem Anliegen, ein Bier, stellst ihr ein großes Glas Anchor Steam hin, während du den Lautstärkeregler herunterschiebst. Außerdem zählst du darauf, daß sie heute abend ein paar Wunschplatten auflegt, und willst es dir nicht mit ihr verderben. Sie nimmt das Bier und verdreht die Augen, als du sie anflehst, die Lautstärke nicht wieder aufzudrehen. Ihr beide habt diese Konversation jede Woche mindestens dreimal pro Abend.

Ein paar Frauen kommen herein, zögern auf der Schwelle. Die Pussycat Lounge befindet sich in Räumlichkeiten, die den Rest der Woche als Punk-Club genutzt werden, und selbst Kerzenlicht und Nina Simone können die schwarzen Wände und das abgefuckte Dekor nicht ganz verhehlen. Du schlüpfst in deine Rolle als Gastgeberin, geleitest sie zu einem Tisch, nimmst ihre Bestellungen für Bourbon und Soda und Lemon-Calistoga auf, plauderst mit ihnen, bis sie sich entspannen und ein draußen begonnenes Gespräch wieder aufnehmen. Dann stiehlst du dich unauffällig davon, zum Spiegel hinter der Bar, um eine frische Lage Très Très Dior auf deine Lippen zu tupfen und mit dem nassen Finger über die dunklen Bögen deiner Augenbrauen zu streichen. Wo bleibt sie? Es ist fast sieben. Sie kommt nicht immer, aber sie weiß, daß sie dich mit Sicherheit hier finden kann, gestylt und wartend, auf sie wartend. Manchmal stylt sie sich auch; nicht wie die Dandy Butches, die in ihren Anzügen und Krawatten herumstolzieren, sondern wie ein sexy Cowboy, einer, der keine große Gürtelschnalle, keine Eidechsenlederstiefel braucht, um zu zeigen, was er zu bieten hat. Du hattest schon immer ein Faible für Cowboys, und dieser hier kann wilde Pferde bändigen, Fährten lesen, mit einer Hand eine Zigarette drehen, während die andere lässig auf dem Lenkrad des roten Pickup liegt. Sie spricht ein bißchen näselnd, was sie, erfolglos, zu verbergen sucht, und sie trägt eine Pfeilspitze an einem Lederband um den Hals.

Es ist Viertel vor acht. Das süße Prickeln der Vorfreude in deinem Magen beginnt schal zu werden wie warmer Champagner. Es hilft auch nicht, daß alle fragen, wo sie ist. Du wendest dich entschlossen von der Tür ab und beißt fest auf den Limonenkeil, den du aus deinem leeren Glas geangelt hast. Du möchtest überrascht werden, möchtest spüren, wie sie dich findet. Plötzlich hast du alle Hände voll zu tun, nicht zu warten; du machst deine Runden, bringst Drinks, küßt Wangen, hältst die Unterhaltungen in Fluß. Wenn sie kommt, wird sie dich beschäftigt finden; vielleicht kannst du Zeit für sie erübrigen. Dann – eine Hand auf deiner Schulter, eine Hand um deine Taille. Du nimmst deine Brille ab und legst sie auf den Tresen, schaust zu Boden, lehnst dich zurück in ihre Härte, ihren Duft nach Wüste und Salbei. Heute abend ist sie für dich ein Cowboy. Ihre Stiefel sind aus weichem Leder, schwarz, mit Sporen, ihr schwarzes Seidenhemd offen, um die flachen Ebenen ihres Schlüsselbeins zu zeigen, ein Cherokee-Armband aus Türkisen, Bärenkrallen und Silberblättern an einem Handgelenk. Ihre Augen im Schatten unter einem flachen schwarzen Hut, dessen Band mit silbernen Conchas besetzt ist.

Die DJane hat sie gesehen. India Adams ertönt aus den Lautsprechern, ihre Stimme, ein rauchiges Schnurren, singt: „Tame me, I’m a little wild. Why don’t you tame me? I’ll be sweet and mild if you tame me …“ Zähme mich. Ihr eilt auf die abgedunkelte Tanzfläche, ihre Hand umfängt deine Hüfte, zieht dich näher heran, bis du fest an ihrem Körper liegst, eure Körper aneinandergepreßt von den Knien bis zu den Schultern. Die Wölbung zwischen ihren Beinen, an ihrem Oberschenkel, die gegen den schwarzen Jeansstoff drückt, ist nicht mißzuverstehen.

Was du am stärksten spürst, ist die Nachdrücklichkeit: der zwingende, unwiderlegliche Beweis des Begehrens, den du vom Zusammensein mit Jungs her kennst. Es macht nichts, daß dieses Begehren unbelebt ist, verkörpert in Silikon statt in Fleisch. Allein die Tatsache, daß sie ihn angelegt hat, bevor sie zu dir kam, daß sie ihn den ganzen Weg hierher getragen haben muß, das Gewicht zwischen ihren Beinen, während sie wie ein Mann die Sechzehnte Straße heruntergeht, ist Beweis genug. Ihre Augen sind unverschämt. Sie weiß, daß du es weißt. Ihre Hand gleitet hinunter zu deinem Hintern, zieht dich heran, so daß du dagegenreibst. Heute abend ist sie dreist. Du holst im weichen Bogen ihres Halses Luft, verfolgst mit der Zunge sachte die Kurve hinter ihrem Ohr. Du kommst dir vor wie Mae West in einem Raum voller Matrosen.

Andere Paare kommen auf die Tanzfläche, doch du läßt dich von ihr nach hinten führen, halb tanzend, halb schreitend, zu einer Nische hinter einem Lautsprecherturm. Sie schaut dich erwartungsvoll an, halb grinsend, halb verlegen, und du kannst nicht widerstehen. Kichernd wisperst du ihr ins Ohr: „Ist das ’ne Pistole in deiner Tasche oder freust du dich bloß, mich zu sehen?“ Du hockst dich auf die Kante eines Lautsprechers und schlingst deine Beine um ihre Taille. Zur Antwort fährt sie mit der Hand die Innenseite deines rechten Beines hinauf, schiebt deine Schenkel auseinander, verweilt am Rand deiner Strümpfe, fährt mit den Fingern über die Grenze, wo seidiges Nylon endet und das Fleisch beginnt. Ihre Lippen senken sich auf deinen bereits geöffneten Mund, ihre Zunge trifft deine in einem Funkenschauer. Du hältst ihre Unterlippe mit deinen Zähnen fest, während ihre Hand dorthin hinaufwandert, wo dein Höschen sein sollte. „Tame me“, flüsterst du, „zähme mich“, derweil die roten Lichter über die Tanzfläche zucken, die Paare beleuchten, die nah dort vorbeiwogen, wo du sitzt, ihre Hand unter deinem Rock, schamlos. Selbst Petula Clark läßt sich gefühlvoll gehen, ihre glockenhelle Stimme ganz kehlig und voll, als sie singt: „I don’t want nobody else ’cause I’m in love …“

„Wie fühlt sich das an, wenn du ihn umschnallst?“ fragst du.

„Sexy“, antwortet sie sofort. „Und bereit. Ich könnte dich hier auf der Stelle ficken. Mächtig“, fügt sie hinzu, während deine Nägel ihren Rücken hinunterwandern, die Furchen zu beiden Seiten ihrer Wirbelsäule suchend. „Komm mit mir nach Hause“, sagt sie, und beim Klang ihrer Stimme flimmert dein Herz, zieht sich dein Magen zusammen. Noch ein Streicheln und du könntest genau hier, hinter den Lautsprechern, kommen, doch sie zieht ihre Hand weg und hebt dich wieder herunter aufs Parkett, führt dich durch die tanzenden Paare und geradewegs zur Tür hinaus, während du dir im Vorbeigehen deinen Leopardenmantel vom Barhocker schnappst; dein Wodka-Lemon-Glas steht immer noch leer herum.